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Der Tag der Ameisen

Der Tag der Ameisen

Titel: Der Tag der Ameisen
Autoren: Bernard Werber
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Spinnweben verwandeln sich in orientalische Deckchen voll orangefarbener Perlen. Es wird ein heißer Tag.
    Unter dem Gezweig wimmeln winzige Wesen. Auf den Gräsern, unter den Farnen. Überall. Sie gehören allen Arten an, und sie sind zahllos. Der Tau, das reine Naß, wäscht die Erde, bereitet sie vor auf das merkwürdigste Abent …

2. DREI SPIONINNEN IM HERZEN
    Rasch, wir müssen weiter.
    Der Duftbefehl ist unmißverständlich: Keine Zeit mehr für müßige Beobachtungen. Die drei dunklen Silhouetten eilen den Geheimgang entlang. Diejenige, die an der Decke läuft, läßt ihre Fühler locker über den Boden streifen. Man bittet sie, herunterzukommen, aber sie versichert, sich so wohler zu fühlen. Sie betrachtet die Wirklichkeit gern umgekehrt.
    Niemand besteht darauf. Warum auch? Das Trio teilt sich auf, um in einen engeren Gang einzutauchen. Ehe sie den kleinsten Schritt wagen, sondieren sie jeden Winkel. Im Augenblick wirkt alles so ruhig, daß es fast schon verdächtig ist.
    Endlich sind sie im Herzen der Stadt angekommen, einer zweifellos streng überwachten Zone. Ihre Schritte werden kürzer. Die Wände des Gangs sind zunehmend glatt poliert. Sie rutschen auf Stückchen welken Laubs aus. Ein Gefühl von Beklommenheit überflutet alle Gefäße ihrer roten Panzer.
    Sie sind nun im Saal.
    Sie schnuppern die Gerüche darin. Ihr Ort riecht nach Harz, Koriander und Kohle. Dieser Raum ist eine ganz neue Erfindung. In allen anderen Ameisenstädten dienen die Kammern nur dazu, die Nahrung oder die Eier zu lagern. Doch letztes Jahr kurz vor dem Winterschlaf hat jemand einen Vorschlag verkündet:
    Wir dürfen unsere Ideen nicht mehr in Vergessenheit geraten lassen.
    Die Kenntnisse des Stammes erneuern sich zu rasch.
    Die Gedanken unserer Vorfahren sollen unseren Kindern nutzen.
    Die Vorstellung, Gedanken zu lagern, war bei den Ameisen ganz neu. Dennoch hatte sie eine große Mehrheit der Bürgerinnen begeistert. Jede war herbeigekommen, um die Pheromone ihres Wissens in die dafür vorgesehenen Behälter zu leeren. Dann hatte man ihre sämtlichen Kenntnisse nach Themen sortiert und von da an in dieser riesigen Kammer gesammelt: der »Chemischen Bibliothek«.
    Die drei Besucherinnen wandern trotz ihrer Nervosität voller Bewunderung hindurch. Die Zuckungen ihrer Antennen verraten ihre innere Erregung.
    Um sie herum sind in Sechserreihen fluoreszierende eiförmige Behälter aufgereiht, umgeben von Schwefeldämpfen, die ihnen das Aussehen warmer Eier verleihen. Doch diese durchsichtigen Schalen bergen kein werdendes Leben. In ihre Sandstollen gezwängt, strotzen sie vor Duftberichten über Hunderte von katalogisierten Themen: die Geschichte der Königinnen der Ni-Dynastie, allgemeine Biologie, Zoologie (viel Zoologie), organische Chemie, oberirdische Geographie, Geologie der unterirdischen Sandschichten, Strategie der berühmtesten Massenschlachten, Territorialpolitik der vergangenen zehntausend Jahre. Man findet dort sogar Küchenrezepte oder Pläne der verrufensten Winkel der Stadt.
    Antennenbewegungen.
    Schnell, schnell, beeilen wir uns, sonst …
    Rasch reinigen sie mit Hilfe der hunderthaarigen Bürste ihrer Ellbogen ihre Fühler. Sie machen sich daran, die Kapseln zu untersuchen, in denen sich die Gedächtnispheromone stapeln.
    Um sie genau zu identifizieren, fahren sie mit dem empfindlichen Ende ihrer Antennen über die Eier.
    Auf einmal erstarrt eine der drei Ameisen. Sie hat das Gefühl, ein Geräusch gehört zu haben. Ein Geräusch? Jede denkt, daß sie diesmal enttarnt werden.
    Sie warten fieberhaft. Wer kann das sein?

3. BEI DEN SALTAS
    »Mach auf, das ist bestimmt Mademoiselle Nogard!«
    Sébastien Salta erhob sich und drehte den Türknauf.
    »Guten Tag«, sagte er.
    »Guten Tag, ist es fertig?«
    »Ja, es ist fertig.«
    Die drei Salta-Brüder holten gemeinsam eine große Kiste aus Polystyrol und hoben daraus eine oben offene und mit braunen Kügelchen gefüllte Glaskugel. Alle beugten sich über den Behälter, und Caroline Nogard konnte sich nicht zurückhalten, die rechte Hand hineinzustecken. Zwischen ihren Fingern rann ein wenig dunkler Sand. Sie schnupperte an den Körnern, wie sie es bei einem Kaffee mit köstlichem Aroma getan hätte.
    »Hat sie das große Anstrengung gekostet?«
    »Ungeheure«, erwiderten wie aus einem Mund die drei Salta-Brüder.
    Und einer von ihnen fügte hinzu: »Aber die Mühe hat sich gelohnt!«
    Sébastien, Pierre und Antoine Salta waren Hünen. Jeder war wohl um die zwei
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