Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Symmetrielehrer

Der Symmetrielehrer

Titel: Der Symmetrielehrer
Autoren: Andrew Bitow
Vom Netzwerk:
gemächlich näher kommendem Wohlbehagen.
    Er hatte jetzt genug Kraft, um den Hocker unter den Knopf zu zerren und hinaufzuklettern. Die Hand reckte sich zum Knopf, jetzt kam er leicht dran. Aber er zögerte noch. Entdeckte, dass er mit der Linken die Flasche fest umklammert hielt. ›Davor oder danach einen Schluck?‹ überlegte er und wunderte sich über die Klarheit des Gedankens. › Danach könnte es zu spät sein …‹ Er grinste, schwankte leicht auf dem Hocker. Oder hatte der Hocker geschwankt?
    Wie wenn die Beine taub wären – eher als die Beine empfand er jetzt den Hocker als Körperteil. Irgendwie wurde es mit einemmal dunkel, vom Boden her. Von dort stieg etwas auf, ob Rauch, ob Nebel.
    Der verdeckte nun den Hocker, nun waren auch die Schuhe verschwunden. Urbino hatte keine Ahnung mehr, was unter seinen Füßen war und auf welcher Höhe er sich befand. Wenn das so ist, könnte er sich nur noch am Knopf festhalten. Aber
wie hält man sich an dem fest? Den könnte man nur drücken, entweder das ist der einzige Ausgang, oder es gibt keinen.
    ›Einen Schluck oder drücken? Es muss gleichzeitig geschehen!‹ – das war die blendende Lösung.
    Und so, die Flasche am Mund wie eine Revolvermündung, berührte er den Knopf und leckte am Flaschenhals. Das brannte so angenehm wie ein Kuss, und er drückte den Knopf.
    ›Es war nichts als ein Schalter‹, konnte er gerade noch denken in dem Augenblick, als er draufdrückte und als Finsternis ihn umfing, bevor sie zu alles verschlingendem Licht wurde.
    … Und es war Musik. Musik umfing ihn wie Schweigen, wie Licht, dann wie Rauschen und Klingen … aber seine Zunge gehorchte ihm nicht. Er bewegte ihren Rest, gleichsam den Stummel.
    »Eury … ka!« schrie er gleichsam und stürzte sich in die Umarmung des Schweigens und des Lichts.
     
    »Zäh, der Schlawiner!« sagte der Schutzengel anerkennend zum Namensengel.
    »Dem Namen nach ist er weniger ein Schlawiner als vielmehr ein Krieger. Die letzte Schlacht hat er immerhin gewonnen.«
    »Weniger gewonnen als vielmehr nicht verloren.«
    »Du redest, als wäre es eine Partie Billard gewesen.«
    »Vielleicht. Was ist, hängt die ›Ansicht des Himmels über Troja‹ noch bei ihm überm Bett?«
    »Wo, zum …, soll sie abgeblieben sein?«
    »Weißt du, ich habe mich irgendwie an ihn gewöhnt …«, sagten Kapitän und Leutnant schweigend zueinander.
    »Er hätte es noch eine Weile machen können …«
    »Ja, er wollte noch alle sieben Todsünden schreiben …«
    »Hätte er nicht gepackt.«
    »Was meinst du, was hätte ihm dazu gefehlt?«
    »Ein paar hat er nicht gekannt, ein paar nicht begriffen.«
    »Steckengeblieben ist er im Roman ›Die Diagnose‹.«
    »Wovon handelt der?«
    »Wie ein Autor einem Wort nachjagt, während das Wort ihm nachjagt. Dieses Wort ist dann die tödliche Diagnose.«
    »Und was ist das für ein Wort?«
    » Dienzephales Syndrom .«
    »Was für ein Unsinn! Woher hat er das? Eine solche Diagnose gibt es nicht. Da stopfen diese Weißkittel alles rein, was ihnen unverständlich ist. Und aufgrund dieser Autosuggestion ist er dann …??«
    »Wie würdest du es diagnostizieren?«
    »Er hat sich der Zeit entrissen. Er hat sie verlassen.«
    »Wie bei Dante? ›Die Zukunft sehn war ihm genommen‹ …«
    »Gerade die Zukunft hat er gesehen. Die Gegenwart nahm er ungenau wahr, nur im Schlaf.«
    »Ja, die Gegenwart ödete ihn an.«
    »Aber nur wenn man die Zukunft darstellt, kann man die Gegenwart einholen! Sie ist ja immer ein bisschen voraus, wenn auch dicht vor der Nase. Der Blick geht, von Natur aus, immer nach vorn.«
    »Du bist, wie ich sehe, sein Leser geworden?«
    »Ich habe bloß auf seinen Namen aufgepasst, du dagegen auf sein Schicksal. Und wie ist deine Diagnose?«
    »Hochmut! mit vielfältiger Genese.«
    »Ja … Ein bisschen war er ja Pole.«
    »Was hat das damit zu tun??«
    »Die Polen sagen: Es gibt keinen schlimmeren Teufel als den, der an Gott glaubt.«
    »Nicht schlecht ausgedrückt. Ich fand schon immer, dass ein treffendes Wort von der Wahrheit befreit.«
    »Ja, wehe dem, den Versuchung durchdringt.«
    »Trotzdem, zum Teufel hat es ebenfalls nicht gereicht.«
    »Bist du dir sicher, dass er überhaupt imstande war, Engel und Teufel zu unterscheiden?«
    »Die Menschen haben es schwer: Da hat man sie an Heiligenschein und Flügel, an Hörner und Hufe gewöhnt – und wo treibst du sowas heute auf?«
    »Nun mach dich doch nicht selber schlecht! Wie oft hast du ihn
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher