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Der Symmetrielehrer

Der Symmetrielehrer

Titel: Der Symmetrielehrer
Autoren: Andrew Bitow
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druckste immer noch herum.
    »Was Sie haben, haben nur Sie, und das vergeht von allein«, sagte der Kapitän noch einmal und stand auf.
    Es war klar, das Gespräch war beendet.
    Und Urbino wachte verwirrt auf, nur um erneut den verfluchten Knopf zu erblicken. Jetzt sah er einem Zahn ähnlich. Sieht doch ganz gesund aus, beunruhigt ihn aber. Warum reizt es immer so ungeheuer, auf einen kranken Zahn zu drücken? Und Urbino bemühte sich, erneut einzuschlafen, nur um etwas Besseres zu träumen, doch war es nicht weniger sonderbar.
    Die Herzoginmutter und die verstorbene Ehefrau, eine Schönheit im indischen Sari, kneteten gemeinsam einen Kuchen.
    »Wieso, ich bin einverstanden. Dann hat er eben dort sein Arbeitszimmer«, sagten Mutter und Frau im Chor, beide mit freundlichem Lächeln.
    Schon früher war ihm vorgekommen, als sei unterm Schreibtisch ein Türchen. Ein Verschlag auf dem Dachboden, in der Ecke unterm Dachbalken. Ein Aufbewahrungsort von Bauschutt samt verrecktem Kinderspielzeug – keine schlechte Beschreibung der Prosa, oder?
    Auf einmal war alles leer, sauber, geräumig und licht. Das Licht kam von nirgendwoher. In der Mitte Tisch und Stuhl, kein Stuhl, ein Hocker, und auf dem Tisch jene vermisste Schreibmaschine und ein Stapel Papier. Die übertriebene Mittelstellung des Arbeitsplatzes verdross ihn, als eine unpassen
de Besorgtheit um den unvollendeten Roman. Urbino schaute sich ärgerlich um. Alles war noch genauso leer, bis auf einen großen Haufen in der Ecke. Wie wenn dort alles sorgfältig hingekehrt worden wäre, als Müll. Aufgehäuft wie ein Schuttkegel, wie im Lager eines Altwarenhändlers. Was es dort nicht alles gab!
    Pullis und Anoraks, Schirme und Stöcke, Halstücher und Handschuhe, Kappen und Mützen, Notizblöcke und Adressbücher, Uhren und Brillen, Brieftaschen (leere) und Geldbeutel (mit Münzen aus verschiedenen Ländern), Armreifen und Fingerringe, Zigarrenetuis und Feuerzeuge, Messer und Messerchen, Rosenkränze und Kettchen, Berlocken und Amulette, einige Lieblingsbücher – alles, was ihm je verlorengegangen oder gestohlen worden war, fand sich hier frohgemut wieder. Nie hätte er gedacht, dass er so ein Trödelkrämer ist, es hätte für den Flohmarkt einer Kleinstadt ausgereicht; jeder Gegenstand weckte die Erinnerung an den Verlust, und nichts erschreckte ihn, bis er ganz zuunterst in diesem erquicklichen Haufen Vaters Rasierer fand. Der in einer Krawatte lag. Einer Krawatte!!!
    Er schraubte die Klinge ab, blies hindurch, und sie gab den traurigen Laut eines orientalischen Instruments von sich: ja, so eines hatte er in Griechenland gehört, in einem kleinen armenischen Restaurant, wo er zusammen mit Dika gewesen war, sie freute sich so über ein orientalisches Fähnchen, das sie für einen Spottpreis erworben hatte (ach, darum hatte er sie im Traum heute mit Sari gesehen …). Die Krawatte war Dikas letztes Geschenk. Handmade, lauter runde Brillchen waren draufgemalt. Die halbrunden Brillenbügel sahen sehr hübsch aus. Er hatte die Krawatte bei Dika vergessen, in der Hitze des letzten Streits, vor ihrem Tod im Zoo. Hatte ihm sehr gefehlt, die Krawatte.
    Aber er konnte ja nicht ihretwegen zurückkehren … Ein rosiger Frühlingsmorgen war das gewesen nach der Beerdigung, auf staubigem, ausgetrocknetem Brachland trieben Kinder eine leere Dose vor sich her, ihre bunten Anoraks hatten sie abgeworfen, und über ihnen kreisten Vögel und lärmten wie
Fußballfans. Es windete. Und der Wind, der Staub, die Kinder, die Vögel … An einem Zaun stand, mit schwarzer Farbe schwungvoll hingemalt, das seltsame Wort BIRDY . Ein Golf-Fan, schwach in Orthographie? Dann hätte es Birdie heißen müssen. Vögelchen oder »vogelig« (wie windig)? Ein solches Wort gibt es im Englischen nicht. Vielleicht nannte jemand seine Liebste so? wie er die seine Dika genannt hatte … Aber Dika war nicht mehr. Geblieben waren nur die Gedichtchen …
     
    Damals wollte ich ja ein Dutzend Erzählungen in allen Zeiten der englischen Grammatik schreiben!
    Ihm wurde kalt, als wäre Wind aufgekommen. Dabei konnte es von nirgendwoher winden, Fenster gab es in dem Zimmer nicht, die Wände waren kahl wie eine Glatze. Er zog seinen geliebten isländischen Pulli über, den er einst in dem Hotel vergessen hatte, aus dessen Fenster man so einen schönen Blick auf das Straßburger Münster hatte, schob auf den Finger den Ring, den ihm Dika einst geschenkt und den er in einer Hafenkneipe verloren hatte, zog
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