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Der Symmetrielehrer

Der Symmetrielehrer

Titel: Der Symmetrielehrer
Autoren: Andrew Bitow
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Gegenstände«, und auch das nur, weil der noch gar nicht geschrieben ist. Der Roman tauchte sogleich in Urbinos Bewusstsein auf, riesig wie die Titanic (hätte die wieder auftauchen können).
     
    Natürlich hatte der Alte von klein auf um die Existenz des siebten Zimmers gewusst. Schon die Herzoginmutter hatte … damit er rascher einschlief. Aber je angestrengter er die Lider zupresste, desto weniger schlief er. Wenn die farbigen Fliegen nicht mehr unter den sich ausdehnenden Kuppeln der Lider umherirrten, tat sich ein schwarzer Hohlraum auf; ihm suchte er die Form eines Rechtecks zu geben, die Schwärze verengte sich, verwandelte sich in einen Korridor, den er rasch zu durchlaufen hatte, als würde er verfolgt. Hauptsache, sich nicht umdrehen! Er zwängte sich durch die Enge, ihm war, als sei da eine Tür oder zumindest ein Fenster, eine Luftklappe … und er geriet in den nächsten Hohlraum, aber auch das war kein Zimmer. Und so schlief er ein, auf der dritten oder vierten Ebene.
    Während der Alte sich seiner kindlichen Furchtlosigkeit entsann, strich er bänglich über den Knopf. Heute musste er unbedingt ausschlafen, denn – schon morgen!
    Morgen würde dieser Kerl wieder erscheinen, so einer kommt nicht zu spät. Auf die Minute.
    Er sagte zum Finger: Mach doch, drück drauf! Der Finger dachte nicht daran zu gehorchen. Was der Alte im übrigen billigte. Er schmunzelte: »Muss mich mit dem Schlafen beeilen …« Der Satz brachte ihn zum Lachen, dann freute er ihn: mit so einem könnte man auch ein neues Leben beginnen … in dem Sinne, dass eine Erzählung so beginnen könnte. Und wenn sie den Knopf angebracht hatten, damit er ihn beschrieb? Tja, da drück ich doch auf den Knopf und schreib eine Erzählung! So wird sie auch heißen, »Der Knopf«, vom Realismus kommt er sowieso nicht mehr los. Sein Leben lang hat er geschrieben wie der erste Mensch: was er sah. Warum das nur nicht alle begriffen haben?
    ›Ich drück jetzt drauf, springe auf und schreibe sie! Bis er kommt, ist sie gerade fertig. Er meint, ich sei zu nichts mehr imstande … er brauche mich nur seinen Vorstellungen anzupassen, diesem Proproustesbett … Was soll's, dass ich kein Proust bin! Dafür kann ich schreiben, wie nicht er. (Die Einbildungskraft des Alten entzündete sich zusammen mit dem Ehr
geiz.) Also, die Erzählung wird Das Prokrustesbett heißen. Bett … ein unangenehmes Wort.‹
    Der Alte wälzte sich noch eine Weile darin herum; den Finger nahm er weg. Am meisten erinnerte ihn der Knopf jetzt an eine Billardkugel, dank seiner elfenbeinhaften Gelblichkeit und Abgerundetheit. Ja! der Held soll sich »mit dem Ausschlafen beeilen« müssen (das lassen wir als Anfang), vor der entscheidenden Partie eines Weltrangturniers.
    Auf vergessen-gewohnte Weise begannen sich die Wörter des Alten aneinanderzuhängen, bis sie eine Seite bedeckten. Die Seite war rechteckig wie ein Tisch, wurde nur plötzlich grün. Der Held dagegen war streng dem Anlass nach gekleidet, schwarz wie eine Fliege in seinem Smoking, er spielte mit dem Queue wie mit einem Spazierstock und stellte den Blick scharf. Auf dem Tuch lag jedoch eine einzige Kugel. Mit einer Kugel kann man nicht spielen … Und wo war der Gegner? Die Kugel war gar keine Kugel, sondern der Knopf zum Abruf des Referee. Der Spieler streckte ärgerlich die Hand aus, um draufzudrücken und den Schiedsrichter zu rufen … und der Alte erwachte.
    ›Ach was, nichts dergleichen werde ich schreiben!‹ dachte er aufgebracht. ›Ach was, mir fehlt das Fleisch, um noch ein Spiel zu beschreiben. Früher wäre mir das vielleicht gelungen, dass das Sujet der Rivalen sich unterschieden hätte vom Sujet des Spiels. Jetzt aber, was weiß ich noch? Dass der Einfallswinkel gleich dem Ausfallswinkel ist? Stoppball, Effet … Die beste Sicherheit ist ein versenkter Ball … Das Queue muss vor dem Stoß eingekreidet werden, nicht hinterher … Reicht alles nicht! Ohne Verständnis, wie mein erster Lehrer Serge Wolf über einen misslungenen Stoß sagte. Geschrieben habe ich denn doch viel besser als gespielt.‹ Die Klarheit einer solchen Schlussfolgerung überzeugte ihn, dass er bei Verstand war, bei sich, an Ort und Stelle. In seinem Bett. Doch auch der Knopf, dieser elfenbeinerne Punkt, war an Ort und Stelle.
    Geschrieben hatte er nicht schlecht, aber im Erfinden war er noch besser gewesen. »Das Verschwinden der Gegenstände«! Außer dem Titel hatte er sonst nichts geschrieben … es gab
wohl
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