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Der Symmetrielehrer

Der Symmetrielehrer

Titel: Der Symmetrielehrer
Autoren: Andrew Bitow
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geladen. Besonders entzückt war das Urbinolein von diesen Bronzekreisen mit dem kleinen Knöpfchen in der Mitte. Er zielte auf sein Spiegelbild, schloss die Augen und drückte auf den Abzug – es erfolgte kein Schuss. Er klappte etwas ab, die Trommel lag frei, sie drehte er nun mit besonderem Genuss, horchte auf das Klick beim Einschnappen. Bloß eine Öffnung in der Trommel war leer. »So habe ich zum erstenmal russisches Roulette gespielt«, kombinierte jetzt der alte Urbino. Damals aber konnte das garstige Urbinolein es sich nicht verkneifen, vor
den Klassenkameraden mit der Waffe anzugeben. Doch auch da war sein Schutzengel zur Stelle, er traf niemanden. ›Was bin ich doch ein undankbarer Schuft!‹ dachte jetzt der alte Urbino. ›Ängstige mich vor einem Knopf …‹ Ihm fiel ein, wie Graf Varasdy zu Tode erschrak, als er den Verlust entdeckte und meinte, die Waffe wäre ihm selbst abhanden gekommen. Der Skandal war weit bedrohlicher als der wegen des Sprits. Und wieder hatte das findige Urbinolein den Revolver rechtzeitig irgendwo hingelegt, so dass Onkel Varasdy ihn selbst finden konnte.
    Eine Gemeinheit. Aber das war alles, was er selbst gestohlen hatte in seinem ganzen, nicht kurzen Leben. Alles, ja? Und er redet von Dieben! Das winzige Häuflein wog schwerer als das große. Besonders die beiden Geldscheine des Mädchens. Plötzlich fielen ihm ihre Äuglein ein, klein, sehr schwarz und erstaunlich flaumig – Samtblümchen.
    Der Revolver war auch jetzt in vorzüglichem Zustand, schussbereit, als wäre keine Zeit vergangen. Urbino hielt ihn sich in den Mund, leckte daran. »Russischer Kuss«, feixte er schiefmäulig. Aber auf den Abzug zu drücken war nicht leichter als auf den sattsam bekannten Knopf.
    Dagegen war es nun leichter, auf die Tasten der Schreibmaschine zu drücken. Urbino kehrte entschlossen zum Arbeitsplatz zurück, streckte entschlossen die Hand zum Papierstapel aus, um zumindest mit dem Titelblatt zu beginnen, obgleich er das für ein Zeichen völliger, wenn nicht Graphomanie, so Impotenz hielt. Entschlossen spannte er ein sauberes Blatt ein, und während er es einzog, kam zuerst der Name des Verfassers zum Vorschein, dann der Titel des Romans, und das zusammen mit dem Motto. Sowohl Poe wie der Chinese standen da. Beide. Poe, der ging ja noch. Aber der Chinese, der handelte von einem Schmetterling, der dem Philosophen im Traum erschienen war. Wie abgeschmackt! empörte sich Urbino und riss das Blatt mit einem Ratsch heraus.
    Und streckte die Hand zum nächsten aus. Spannte es ein. Schob den Wagen zurück.
     
    INHALTSVERZEICHNIS
     
    Die Neugier überwog bereits die Angst. Er klackte mit dem Wagen wie mit der Revolvertrommel.
    Erster Gegenstand. DER REVOLVER .
    Zweiter Gegenstand …
    Weiter ging es Punkt für Punkt, wie auf einer Verlustanzeige. Alles bis zum letzten Ringlein.
    Als er bis zum isländischen Pulli gekommen war, betastete er ihn sogar am Leib, um sicherzugehen.
    Ein Pulli wie jeder andere. Sehr dick, offenkundig warm. Es fröstelte Urbino.
    An das Inhaltsverzeichnis erinnerte er sich nicht. Wann hatte er es bloß zusammengestellt?
    Beim Kapitel »Die geliebte schwedische Brille« glitt die Seite aus dem Wagen.
    Die Brille war rund gewesen wie die von Joyce. Er hatte sie auf dem Tischchen im Zug vergessen, ausgerechnet zusammen mit dem Buch von Joyce, das zu lesen er sich gezwungen hatte, worüber er fast sein Ziel verschlief.
    Der Inhalt seines Romans erwies sich als so umfänglich, dass eine Seite für das Inhaltsverzeichnis nicht ausreichte. Schon automatisch streckte Urbino die Hand nach der nächsten Seite aus.
    Idiotisch! Auf der Seite stand lediglich eine Zeile:
     
    Letzter Gegenstand. VATERS RASIERER
     
    Vorsichtig warf er einen Blick auf den Papierstapel. Die erste Seite war schon beschrieben, und sie hieß auch »Der Revolver«. Wie einen Stoß Karten, wie mit dem Fingernagel über alle Klaviertasten, ließ Urbino den Papierstapel von vorne bis hinten durchschnurren – alle Seiten schienen voll zu sein.
    Sofort schaute er auf die letzte, und das war »Vaters Rasierer«.
    Dort stand ebenfalls nur eine Zeile:
    »Der liegt bei dir im Zimmer, dort, wo du ihn letztes Mal hingelegt hast.«
    Er blickte zu dem Haufen in der Ecke – da lag nichts mehr. Er blickte in die andere Ecke, wo alles aufbewahrt war, was er zu vergessen sich bemüht hatte – dort lag noch alles an Ort und Stelle.
    Er wusste längst, dass alles Beschriebene genauso aus dem Leben
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