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Der stumme Handlungsreisende

Der stumme Handlungsreisende

Titel: Der stumme Handlungsreisende
Autoren: Michael Lewin
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Polizeichef, die andere Leute ermorden.«
    »Leute?«
    Er mißverstand meine
     Frage, obwohl ich den Plural betont hatte. »Genau. Marcia Merom ist
     vor sechsunddreißig Stunden gestorben.«
    »Ich habe niemanden
     ermordet«, sagte ich.
    »Wie nennst du es denn,
     wenn jemand unbewaffnete Leute totschießt?«
    »Unbewaffnete Leute,
     die die Absicht hatten, mich zu töten. Ich nenne es
     Selbstverteidigung.«
    »Hm«, sagte er.
     Ich wartete. »Ich nenne es auch Selbstverteidigung, aber Captain
     Gartland war nicht besonders glücklich darüber.«
    »Gartland ist nie glücklich,
     aber das ändert nichts an den Tatsachen. Glücklicherweise gibt
     es ein paar Details, die deine Aussage untermauern. Seilabdrücke an
     deinen Hand- und Fußgelenken. Blaue Flecken dort, wo man dich
     vielleicht geschlagen hat. Fensterglas in deinen Händen.«       
    »Und dazu noch
     gebrochene Knochen.«
    »Und gebrochene
     Knochen. Die Tatsache, daß die Waffe Marcia Merom gehörte und
     nicht dir.«
    »Ich habe gar keine.
     Vielleicht sollte ich.«
    »Jeder auf der Welt hat
     eine, außer dir.«
    »Du hast es mir
     ausgeredet.«
    »Du weißt, daß
     Seafield den Revolverlauf verbogen hat, als er mit dieser Weinflasche
     daraufschlug?« fragte Miller. Er zeigte mir auf diese Weise, daß
     er vieles von dem, was geschehen war, rekonstruiert hatte.
    »Nein«, sagte
     ich, »das wußte ich nicht.«
    »Die Arzte sagen, er muß
     den Revolver mit der Flasche getroffen haben. Die Vibrationen haben dir
     dann die Finger gebrochen. Wenn er deine Hände getroffen hätte,
     wären wir immer noch damit beschäftigt, die Einzelteile
     aufzulesen. Und das alles, obwohl er drei Löcher im Leib hatte.«
    »Drei!«
    »Das ist die Zahl nach
     zwei und vor vier.«
    »Ich kann ihn unmöglich
     dreimal getroffen haben. Ich war mir nicht einmal sicher, ob ich ihn
     überhaupt ein einziges Mal getroffen hatte.«
    »Du meinst, nachdem du
     die Armlehne der Couch fertiggemacht hattest und das Bild an der Wand?«
    »Kein Kommentar.«
    »Ein Revolver hat sechs
     Schuß, wie du weißt. Und es ist nur gut, daß du den
     letzten nicht abgefeuert hast.«
    »Warum?«
    »Weil der Revolver mit
     einem verbogenen Lauf nach hinten losgegangen wäre, darum. Die Kugel
     wäre nicht rausgekommen. Und es ist ziemlich übel, wenn so etwas
     passiert.«
    Ich senkte den Kopf. »Ich
     erinnere mich nicht sehr gut.«
    »Gartland wird
     vielleicht deine Lizenz einkassieren«, sagte Miller. »Aber was
     irgendwelche Anklagen gegen dich betrifft, wirst du keine Probleme haben.«
    »Du versuchst wohl,
     mich aufzuheitern, wie?«
    »Mach dir keine
     Gedanken wegen des Polizisten draußen vor der Tür. Reine
     Vorsichtsmaßnahme.«
    »Was für ein
     Polizist?«
    »Hm«, sagte er,
     »wir haben einen Mann da draußen, das ist alles. Gartlands
     Anordnung.«
    »Ist ja toll«,
     sagte ich. Ich wurde langsam müde.
    Miller sah, daß meine
     Augenlider flackerten. »Du solltest auch wissen, daß wir diese
     Briefe gefunden haben.«
    »Welche Briefe?«
    »Die Briefe vom FBI an
     Rush, in deiner Jackentasche.« Als er davon sprach, fiel es mir
     wieder ein. »Das FBI hier sagt, daß sie sie nicht für
     echt halten, aber wir überprüfen das noch.«
    »Und was ist mit Rush?«
    »Er war den ganzen Tag
     auf dem Revier und hat Fragen beantwortet.«
    »Und Walker?«
    »Der Bursche, der mit
     Rush und Seafield zusammen war, als sie dich in Rushs Haus erwischt haben?
     Wir suchen nach ihm.«
    »Um Himmels willen, laß
     ihn nicht davonkommen, Jerry.«
    »Ist er wichtig?«
    »Ganz genau. Er ist der
     Verbindungsmann. Er wird garantiert untertauchen, wenn ihr ihm die Chance
     gebt.«
    Miller stand auf. »Ich
     lasse dich jetzt schlafen.«
    Ich schlief ein, wachte auf,
     schlief ein, wachte auf. In der Hälfte meiner wachen Phasen dachte
     ich an glücklichere Tage. Die andere Hälfte verbrachte ich damit
     zu rekonstruieren, wie es mir möglich gewesen war, in einen solchen
     Schlamassel zu geraten.
    Am späten Nachmittag
     begriff ich, daß Linn Pighee tot war. Tot. Linn Pighee, die in
     meinem Bett geschlafen hatte, die von meiner verkrüppelten Tochter
     umsorgt worden war.
    »Schwester! Schwester!«
     rief ich, rief lauter, klingelte.
    Ein Kind in Weiß
     erschien. »Ist etwas nicht in Ordnung?«
    »Sie kann nicht tot
     sein«, sagte ich, »sie kann nicht tot sein.«
    Das Kind blieb wie
     angewurzelt stehen und wußte nicht, ob es irgend etwas tun sollte,
     tun konnte. Mich trösten,
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