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Der stumme Handlungsreisende

Der stumme Handlungsreisende

Titel: Der stumme Handlungsreisende
Autoren: Michael Lewin
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    1
    Die erste halbe Stunde nach
     dem Frühstück brachte ich damit zu, mein Geld zu zählen.
     Mein Bargeld. Die zweitausend Dollar, die meine eiserne Reserve waren. Ich
     kam genau auf $ 938.
    Kein schlechtes Ergebnis für
     Geld, das mir gehört, Geld aus fast drei Jahren Arbeit. Vor allem,
     wenn man bedenkt, daß ich es in einer Kassette aufbewahre, die ich
     nicht einmal vor mir selbst verschließe. Ein Schloß kann ich
     mir nämlich nicht leisten. Das einzige Hindernis, das ich mir in den
     Weg gelegt habe, ist ein mir ansonsten recht freundlicher Schnappschuß
     meiner Herzdame, die mir einen strengen Blick zuwirft. Das Foto soll meine
     Selbstdisziplin ankurbeln.
    Das Geld war damals auf einen
     Schlag gekommen, zusammen mit dem Brief eines dankbaren Klienten. Ein
     freiwilliges und unerwartetes Geschenk. Dem Brief erwies ich die Ehre
     eines eigenen Aktenordners, und das Geld wollte ich nicht anrühren,
     bis ich es wirklich brauchte.
    Ich brauchte es.
    Den ganzen Juni über
     hatte ich in meinem Büro gesessen, nur von der Hand in den Mund
     gelebt und mich gefragt, warum kein Mensch in ganz Indianapolis einen so
     preiswerten Detektiv wie mich engagieren wollte.
    Bei meinen Kontakten, meiner
     Intelligenz, meiner Integrität … meinen niedrigen Honoraren.
    Aber dann fiel es mir wie
     Schuppen von den Augen. Im Juni wird geheiratet.
    Im Juli wurde mir klar, daß
     man sich noch in den Flitterwochen befindet…
    Im August hätte sich
     jedoch zumindest der Geschäftszweig Scheidungen erholt haben müssen.
     Hatte er aber nicht.
    Am Montag, dem Achten, hatte
     ich mich entschlossen, aktiv zu werden. Zu meinen starken Seiten gehört
     es, daß ich auch zum Handeln bereit bin. Wenn mir nichts anderes
     mehr einfällt. Ich ging also zum Star in die Anzeigenaufnahme.
     
    Riesiger Detektiv-Schlußverkauf
     im August
    20 % Preisnachlaß auf
     alle Nachforschungen,
    einschließlich
     Scheidungen, wenn Sie sich
    noch im August entschließen
      Ich fand meine Idee damals gar
     nicht schlecht. Die Anzeige erschien am Dienstag morgen.
    Aber Dienstage sind ja
     bekanntlich immer sehr ruhig. Weil alle Hausfrauen und Hausmänner am
     Dienstag mit der großen Wäsche beschäftigt sind.
    Oder war das am Montag?
    Am Mittwoch morgen ging ich
     als erstes zur Bank und hob mein Geld ab. Dann ging ich wieder nach Hause,
     frühstücken. Die Annonce sollte die ganze Woche über
     erscheinen, auch am Sonntag. Es war meine erste Zeitungsannonce, seit ich
     1863 meine Tätigkeit aufgenommen hatte. Irrtum, 1963.
    Natürlich laufen die
     Dinge schlecht für mich, seitdem ich im Geschäft bin. So ist
     mein ganzes Leben; ich tappe von einem Mißgeschick zum nächsten.
     Aber mehr als tausend Dollar weniger zu haben von etwas, was ich überhaupt
     nicht hätte, wäre da nicht jene unerwartete Anwandlung von
     Dankbarkeit gewesen… Das war schlimm.
    Um 10.15 Uhr klingelte das
     Telefon.
    »Albert Samson. Kann
     ich Ihnen behilflich sein?«
    Eine Männerstimme
     fragte: »Sind Sie Albert Samson?«
    »Jawohl.«
    »Derjenige, der diese
     Anzeige aufgegeben hat und 20 % Preisnachlaß gibt, wenn ich meine
     Scheidung jetzt in die Wege leite?«
    »Genau.«
    »Meinen Sie das
     ehrlich?«
    »Ich weiß nicht
     recht, was ich darauf sagen soll…«
    »Also entweder meinen
     Sie das ehrlich, oder Sie meinen es nicht ehrlich. Soll das ein Witz sein
     oder nicht?«
    »Es ist kein Witz. Es
     ist vollkommen ernst gemeint.«
    »Also, ich finde, es
     ist ein abscheulicher Witz, Samson. Ich halte das Ganze für eine
     absolute Geschmacklosigkeit, damit Sie’s nur wissen.« Er hängte
     ein.
    *
    Den ganzen Rest des
     Vormittags flackerte die ohnehin schwache Glühbirne meines Bewußtseins
     nur noch. Wenn sie ausging, träumte ich davon, eine andere Art von
     Arbeit zu tun. Etwas zu sein… irgend etwas. Nicht irgend etwas.
     Genug zu verdienen, um nach Abzug der Unkosten Steuern zahlen zu müssen.
    Wenn die Birne wieder einmal
     aufleuchtete, nutzte ich die Zeit dazu, mir die
     Namen der 1969er Mets aufzusagen. Das waren die, die aus dem Nichts kamen,
     den National Baseball League Pennant gewannen und dann auch noch die World
     Series.
    Wir hatten eine Menge
     gemeinsam, die Mets von 1969 und der Albert Samson von 1977. Beide
     starteten wir von ganz unten in den Sommer.
    Um zwölf zog ich mich
     zum Mittagessen in mein Hinterzimmer zurück. Um zwanzig vor eins hörte
     ich ein unverkennbares Geräusch: Jemand versuchte, meine Tür zu
     öffnen.
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