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Also sprach GOLEM

Also sprach GOLEM

Titel: Also sprach GOLEM
Autoren: Stanislaw Lem
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Vorrede
    Den historischen Zeitpunkt auszumachen, an dem ein Rechner die Stufe der Vernunft erreichte, ist ebenso schwer, wie jenen Moment herauszufinden, mit dem der Affe sich in den Menschen verwandelte. Dabei ist es kaum ein Menschenalter her, seit mit dem Bau des Analysators für Differentialgleichungen von Vannevar Bush die stürmische Entwicklung der Intellektronik eingeleitet wurde. Der anschließend, gegen Ende des Zweiten Weltkrieges, konstruierte ENIAC war jene Anlage, auf welche die freilich verfrühte Bezeichnung »Elektronengehirn« zurückgeht. ENIAC war schon ein regelrechter Computer, aber verglichen mit dem Entwicklungsbaum des Lebens, war er ein primitives Nervenganglion. Mit ihm lassen jedoch die Historiker das Computerzeitalter beginnen. In den fünfziger Jahren des 20. Jahrhunderts entstand ein erheblicher Bedarf an Rechenmaschinen. Als einer der ersten hat der Konzern IBM mit der Massenproduktion begonnen.
    Mit Denkprozessen hatten diese Anlagen kaum etwas zu tun. Es waren Datenverarbeitungsanlagen, sowohl in der Ökonomie und im Big Business wie auch in den Verwaltungen und der Wissenschaft. Auch in die Politik hielten sie Einzug – schon die ersten benutzte man, um die Ergebnisse der Präsidentschaftswahlen vorherzusagen. Ungefähr zur gleichen Zeit gelang es der RAND Corporation, militärische Stellen im Pentagon für die Methode zu interessieren, durch das Aufstellen sogenannter »Szenarien« Ereignisse auf dem internationalen militärisch-politischen Schauplatz zu prognostizieren. Von hier war es nicht mehr weit zu verläßlicheren Verfahren wie CIMA, aus denen zwei Jahrzehnte später die
    angewandte Algebra der Ereignisse hervorging, die man (mit einem nicht sonderlich geglückten Ausdruck) als Politomatik bezeichnete. Auch in der Rolle der Kassandra bewies der Computer seine Fähigkeiten, als man, im Rahmen des berüchtigten Projekts »The Limits to Growth«, am Massachusetts Institute of Technology erstmals daran ging, formale Modelle der irdischen Zivilisation zu erstellen. Doch nicht dieser Zweig der Computer-Revolution hat sich als der wichtigste für den Ausgang des Jahrhunderts erwiesen. Die Armee benutzte Rechenmaschinen seit dem Ende des Zweiten Weltkrieges, und zwar entsprechend dem auf den Schauplätzen dieses Krieges entwickelten System der operativen Logistik. Die strategischen Überlegungen blieben weiterhin Sache der Menschen, doch die sekundären und untergeordneten Probleme wurden immer stärker den Computern überlassen, die man zugleich in das Verteidigungssystem der Vereinigten Staaten integrierte.
    Sie bildeten die Nervenknoten des kontinentalen Warnsystems. In technischer Hinsicht waren diese Systeme sehr rasch veraltet. Auf das erste – CONELRAD – folgte, in mehreren Varianten, das System EWAS (Early Warning System). Das Angriffs- und Verteidigungspotential beruhte damals auf einem System beweglicher (Unterwasser-) und unbeweglicher (unterirdischer) ballistischer Raketen mit thermonuklearen Sprengköpfen und auf Ketten von Radar- und Sonarbasen, und die Rechenmaschinen erfüllten darin die Aufgabe von Verbindungsgliedern, also nur ausführende Funktionen.
    Die Automation drang auf breiter Front in das Leben Amerikas ein, zunächst von »unten«, das heißt von jenen Dienstleistungen her, die, da sie keine geistige Aktivität erfordern, am leichtesten zu mechanisieren sind(Bankwesen, Transport, Hotelwesen). Die militärischen Computer führten eng spezialisierte Aufgaben aus: sie suchten Ziele für einen kombinierten Atomschlag, werteten die Ergebnisse von Satellitenbeobachtungen aus, optimierten die Flottenbewegungen und koordinierten die Bahnen der MOLs (Military Orbital Laboratory – Schwerer militärischer Satellit).
    Wie zu erwarten, nahm der Umfang der Entscheidungen, die man automatischen Systemen überließ, ständig zu. Während des Rüstungswettlaufs war das verständlich, doch auch die spätere Entspannung wurde nicht zu einer Investitionsbremse an dieser Front, denn auf die beträchtlichen Haushaltsmittel, die durch das Einfrieren des Wasserstoffbombenwettlaufs frei wurden, mochte das Pentagon nach Beendigung des Vietnamkrieges nicht völlig verzichten. Doch auch die damals gebauten Computer der zehnten, elften und schließlich zwölften Generation waren dem Menschen nur an Operationsgeschwindigkeit überlegen. Dadurch erkannte man dann auch, daß innerhalb der Verteidigungssysteme gerade der Mensch jenes Element darstellt, das die angemessene Reaktion
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