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Der stumme Handlungsreisende

Der stumme Handlungsreisende

Titel: Der stumme Handlungsreisende
Autoren: Michael Lewin
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leid«,
     sagte ich, »du magst ja keine Hypothesen, also kann ich’s dir
     auch nicht sagen.« Ich legte auf.

 
    45
    Zweieinhalb Stunden später
     kam Miller in mein Zimmer. Bevor ich mit dem Mittagessen fertig war. Er
     sah ausgesprochen glücklich aus. Ich konnte mich nicht erinnern, daß
     er jemals so ausgesehen hatte, seit er zum Lieutenant befördert
     worden war.
    »Du siehst aus wie die
     sprichwörtliche Katze. Eine Schokoladenkatze«, sagte ich.
     »Hast du vielleicht gerade eine Schokoladenmaus gefangen?«
    »Ich habe eine Dame da
     draußen, die dich liebend gerne umbringen möchte«, sagte
     er.
    »Kein Wunder, daß
     du so glücklich aussiehst. Jemand, den ich kenne?«
    »Eine Dame namens
     Dorothea Thomas. John Pighees Schwester.«
    »Ah«, sagte ich.
    Er gab mir ein in Leder
     gebundenes Buch. »Ich kann dir ungefähr zwanzig Minuten Zeit
     damit lassen, bevor ich die Dame zu ihrem neuen Heim bringe.«
    Ich nickte. »Danke«,
     sagte ich.
    »Ich bin draußen.«
     Er ging zur Tür. »Ach, übrigens, diese Briefe vom FBI
     waren Fälschungen, und Henry Rush hat versucht, sich das Leben zu
     nehmen. Sie haben ihn hierher gebracht; er liegt nur fünf Türen
     von dir entfernt.«
    Mit dieser Mitteilung
     verschwand er.
    *
    Das Buch entpuppte sich als
     Tagebuch von John Austin Pighee. Er hatte es an dem Tag begonnen, als
     Henry Rush ihn für das Projekt Bagtag gewonnen hatte. »Ich
     nehme an, daß das FBI schließlich irgendwo seine Arbeit tun muß«,
     schrieb er. »Mir scheint, ich bin der glücklichste Mann auf der
     Welt, daß es ausgerechnet dort passiert, wo ich arbeite. Und wenn
     das vorbei ist, wenn sich die ganze Arbeit, die vor mir liegt, irgendwann
     auszahlt, dann bin ich mir sicher, daß die Welt wissen will, was sie
     Menschen wie Henry verdankt. Das ist der Grund, warum ich dieses Tagebuch
     schreibe. Ich werde jeden Tag hineinschreiben. Ich werde es im Wohnwagen
     meiner Schwester aufbewahren und dort jeden Tag Vorbeigehen, entweder vor
     oder nach der Arbeit.«
    Und er hatte sein Versprechen
     gehalten. Die Begeisterung für seine Arbeit war deutlich zu spüren.
     Die ganze Zeit war er felsenfest davon überzeugt, daß er für
     das FBI arbeitete. Und er fühlte sich verpflichtet, bei jeder
     Gelegenheit die Wichtigkeit seines Projekts anzupreisen, seine Mission,
     wie er es sah. Der Mann war schließlich ein Verkäufer gewesen.
     Und in seinem Tagebuch bereitete er stillschweigend das Produkt vor, das
     der größte Abschluß seines Lebens werden sollte.
    Es war klar, daß er die
     Absicht hatte, aus dem Tagebuch den authentischen Tatsachenbericht eines
     Geheimprojekts zu machen. Er glaubte, damit ein Vermögen verdienen zu
     können.
    Von Anfang an war es voll von
     persönlichen Einzelheiten über die anderen Mitglieder der
     Organisation. Ich hatte den Verdacht, daß seine Annäherungsversuche
     an Marcia Merom vor allem den Zweck
     verfolgten, pikante Einzelheiten zu sammeln, über die er dann
     schreiben konnte. Und geschrieben hatte er darüber mehr als genug.
    Er fand sie willig und
     flexibel. Und meinte, daß sie ihm das Gefühl gebe, zu leben, daß
     sie ihn errege. »Das ist mit Linn, meiner Frau, nicht so, war es
     nicht mehr seit unserer Tragödie.« Der einzige Hlinweis auf
     seine Frau, den ich fand.
    Wobei die erwähnte Tragödie
     der Verlust ihrer Kinder an ein Auto gewesen war.
    Aber in der Woche, bevor er
     starb, schrieb er: »Der Druck zur Geheimhaltung ist so stark, so
     allumfassend, daß ich noch nicht einmal Marcia von diesem Tagebuch
     erzählt habe. Soll ich es tun, frage ich mich? Ich weiß es
     nicht. Es gibt Tiefen in ihr, die noch nicht einmal ich ausgelotet habe.
     Bis dahin…
    Aber ich mache mir Sorgen«,
     fuhr er fort. »Wenn dieses Buch an einen Verlag kommt - wird man mir
     Glauben schenken? Ich frage mich, ob ich nicht anfangen sollte, zusätzliche
     Beweise zu sammeln, um - im Falle eines offiziellen Dementis - belegen zu
     können, daß dies ein echtes Projekt ist und nicht einfach die
     Ausgeburt meiner übersteigerten Phantasie. Gelegentliche Notizen,
     einige Proben der Materialien, die wir benutzen. Solche Sachen.«
    Ich rief Miller herein.
     »Gefällt’s dir?« fragte er.
    »Es hätte mir eine
     Menge Ärger erspart, wenn ich gewußt hätte, daß es
     existiert«, sagte ich. »Was hast du sonst noch im Schrank
     gefunden?«
    »Einige Proben von
     einem illegalen weißen Pulver.
    Und einen leeren Behälter
     von irgendeinem
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