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Der stumme Handlungsreisende

Der stumme Handlungsreisende

Titel: Der stumme Handlungsreisende
Autoren: Michael Lewin
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jemanden herholen, der an mir
     herumdokterte, oder einfach abwarten. Die Unentschlossenheit ließ
     sie warten. Und ich sank langsam wieder in Schlaf.
    *
    Später am Nachmittag
     wachte ich dann richtig auf. Ich bat eine Schwester, mir jemanden zu
     schicken, der etwas zu sagen hatte. Ich hatte die Oberschwester im Sinn.
     Statt dessen schickte sie mir Miller.
    »Bist du bereit, eine
     Aussage zu machen?« fragte er.
    »Ich habe nachgedacht«,
     sagte ich.
    »Ich kann verstehen, daß
     du jemanden dahaben wolltest, der dieses Ereignis festhält.«
    »John Pighees Frau,
     Linn Pighee. Sie ist vor ein paar Tagen gestorben.«
    »Das habe ich gehört«,
     sagte Miller.
    »Ich muß mit dem
     Mann reden, der die Autopsie gemacht hat.«
    »Du mußt! Wer zum
     Teufel bist du eigentlich?«
    »Ich muß wissen,
     warum sie gestorben ist.«
    »Hast du sie vielleicht
     auch erschossen oder so etwas?«
    »Sieh mal«, sagte
     ich, »ich werde keine Aussage machen, bis du es arrangiert hast, daß
     der Mann, der die Autopsie gemacht hat, hierherkommt.«
    »Angeblich werden die
     Menschen, wenn sie in dein Alter kommen, weicher.«
    »Oder sie werden
     streitsüchtiger. Ich fühle mich ziemlich streitsüchtig.«
    »Na schön, na schön.
     Ich werd’s arrangieren. Aber sieh zu, daß du wieder zu Kräften
     kommst. Draußen ist ein Stenograf. Wenn ich zurückkomme, werden
     wir deine Aussage aufnehmen. Bevor du dich auch noch erschießt. Du
     hast in letzter Zeit ja so ziemlich jeden erschossen.«
    *
    Vierzig Minuten später,
     gestärkt durch ein Glas Orangensaft, begann ich, ihnen Schritt für
     Schritt zu erzählen, wie ich von Mrs. Thomas engagiert worden war und
     wie ich auf diese Weise an die Leute herangekommen war, mit denen John
     Pighee zu tun hatte. Es war ein langes und unangenehmes Gespräch, und
     als ich an das letzte Stück gelangte, traf mich zum ersten Mal die
     Erkenntnis - und sie traf mich hart an welch hauchdünnem Faden es
     gehangen hatte, daß ich jetzt lebte und nicht tot war.
    »Du wirst es nicht
     erleben, daß ich jemals wieder etwas gegen die Macht des Gebetes
     sage«, stellte ich fest.
    In der Nacht wachte ich
     wieder auf. Und erinnerte mich. Man würde mich demnächst zur Räumung
     zwingen. Meine Lizenz befand sich in echter Gefahr, was Gartland betraf.
     Meine Ersparnisse waren weg. Sam mußte bald wieder gehen. Ich hatte
     zwei Menschen getötet.
    Zwei Menschen getötet.
     Es war mir ein Rätsel, wie das passieren konnte. Ich konnte mir
     schlicht nicht vorstellen, wie ich so etwas tun konnte. Aber ich hatte es
     getan. Es war einfach geschehen. Ich hatte getötet, um mein eigenes
     Leben zu retten. Daraus folgerte ich, daß ich sterblich war. Daß
     Linn Pighee tot war. Daß auch Sam eines Tages sterben würde.
    Ich muß laut
     aufgeschrien haben. Jemand kam in dieser Nacht an mein Bett. Ich erinnere
     mich noch daran, daß jemand mir die Stirn abgetupft und mich getröstet
     hat. Das half. Trost.
    Später habe ich dann
     wieder geträumt, aber ohne dieselben Ängste. Mrs. Thomas kam ins
     Zimmer gestürmt. Ich sah sie an mein Bett treten, meine Hand
     ergreifen und mich durch die Lederfalten ihres Gesichtes hindurch anlächeln.
     Sie sagte: »Gute Arbeit.« Und sie tätschelte mir den
     Kopf. Sie sagte es nicht, aber ich wußte, daß sie mir dafür
     gratulierte, daß ich Marcia Merom erschossen hatte. »Sie war für
     John nicht besser als Linn«, sagte Mrs. Thomas in meinem Traum.
     »Es ist nur gut, daß sie aus dem Weg ist. Wenn John wieder
     gesund wird, werden wir versuchen, jemand anders für ihn zu finden«,
     sagte sie. »Jemand, der mehr so ist wie ich.«

 
    44
    »Mr. Samson.«
     Eine sanfte, drängende Stimme im Verein mit sanften, drängenden
     Händen.
    »Vorsicht«, sagte
     ich, »sonst wecken Sie mich noch auf.«
    »Mr. Samson, der Doktor
     ist hier.«
    Ich setzte mich auf und sah
     einen kleinen, glatzköpfigen Mann mit Adlernase und nach unten hängendem
     Schnurrbart vor mir. Er trug einen weißen Mantel und ein
     Stirnrunzeln.
    »Was kann ich für
     Sie tun?« fragte ich. »Puls? Blutdruck?«
    »Sie«, sagte er,
     »Sie haben offensichtlich danach verlangt, mit mir zu sprechen. Ich
     weiß nicht, wer Sie sind oder warum Sie eine Polizeiwache vor Ihrer
     Tür stehen haben, aber ich habe nicht viel Zeit und erst recht keine
     zum Verschwenden.«
    »Ah«, sagte ich,
     »Sie sind der Mann, der die Autopsie an Linn Pighee vorgenommen hat.«
    Er warf mir einen prüfenden
     Blick
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