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Der stille Sammler

Der stille Sammler

Titel: Der stille Sammler
Autoren: Becky Masterman
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Richtung zielen?«, sagte ich.
    Sie reagierte weder mit Wort noch Tat, also rollte ich mich herum und kroch aus der Feuerlinie, bevor ich mich langsam auf die Beine mühte. Ich ging zu ihr. Sie hielt die Flinte immer noch auf den Toten gerichtet. Ich nahm sie ihr aus den Händen, legte den Sicherungshebel um und stellte sie an der Wand ab. Dann drückte ich ihre Arme behutsam hinunter. »Danke«, sagte ich. »Aber ich hätte es auch allein geschafft.«
    Sie weinte leise weiter. Dann fing sie an zu zittern. Schließlich stieß sie zwischen klappernden Zähnen hervor: »Unsinn. Ich habe Ihnen Ihr beschissenes Leben gerettet.«
    »Pssst«, machte ich. »Okay, Sie haben recht. Sie haben mir mein beschissenes Leben gerettet.« Ich blickte ihr prüfend in die Augen. »Kommen Sie klar?«
    Sie schüttelte den Kopf. Dann nickte sie.
    »Wir sind noch nicht fertig hier«, sagte ich.
    Da war noch Max.
    Max. Ich trat über Coleman und rannte nach draußen in die Bar zu der Stelle, wo Max auf dem Rücken lag. Ich kniete neben ihm nieder. Seine Brust war blutig, und unter ihm hatte sich eine große Lache gebildet. Der Schuss hatte ihn rückwärts gegen einen Tisch und von dort zu Boden geschleudert. Ich legte einen Finger an seinen Hals, obwohl ich keinen Puls erwartete. Niemand überlebt eine .45er-Kugel mitten in die Brust.
    In dem kurzen Moment, als ich nach seinem Puls fühlte, ging mir alles durch den Kopf, was ich über Max wusste. Pokerspieler, Philosoph, Sheriff, Ehemann, Feind, Freund. Ich hätte nie gedacht, dass das Leben einer anderen Person zum Zeitpunkt ihres Todes vor den eigenen Augen vorbeiziehen könnte. Ich wollte weinen bei dem Gedanken, wie kurz dieses Leben im Grunde gewesen war, und wie wenig ich davon wusste. Doch dazu war jetzt keine Zeit. Später, nachdem ich Laura Coleman versorgt hatte, würde ich mehr Zeit haben, als mir lieb war, um über Emerys letztes Opfer nachzudenken.
    Ich riss das Anschlusskabel der Musikbox aus der Wand und wählte in Emerys Büro den Notruf.
    »Officers verletzt«, sagte ich und nannte die Adresse. Ich bemühte mich erst gar nicht, die genaue Situation zu beschreiben. Es hätte zu lange gedauert, und jeder würde sich schon bald ein eigenes Bild machen können.
    Ich überlegte rasch, dann kniete ich mich neben Coleman. »Okay, ich denke, wir haben die Fakten zusammen. Ich muss Sie erst mal ein Stück von hier wegschaffen. Rollen Sie sich auf die Seite, damit Ihre Fersen nicht über den Boden schleifen.«
    »Ich … ich verstehe nicht«, stöhnte sie.
    »Ich erkläre Ihnen gleich alles.«
    Verwirrt gehorchte sie meiner Aufforderung und rollte sich herum. Ich fasste sie bei den Knien, um ihre Unterschenkel so wenig wie möglich zu belasten, während sie sich auf den Ellbogen in Richtung Bar voranschob, wo ich ihren Kopf auf einen Stapel Servietten bettete. Ich legte sie so weit wie möglich weg von Max’ Leiche bei der Theke, doch die Bar war nicht besonders groß. Coleman drehte den Kopf, starrte zwischen den Stuhlbeinen hindurch zu ihm hin und wischte sich dann mit dem Handrücken über die Augen.
    »Sie ruhen sich einen Moment aus, und ich kümmere mich um den Tatort«, sagte ich.
    Mein Rücken verkrampfte sich, und ich bewegte mich wie ein Zombie, als ich ins Büro ging, die Finger in Cheris Blut tauchte und damit in die Küche zurückkehrte. Ich nahm die Schrotflinte und wischte mit meinen blutigen Händen über sämtliche anderen Fingerabdrücke, um keinen Zweifel daran zu lassen, wer die Flinte abgefeuert hatte. Anschließend reinigte ich mit einem Tuch den Colt 1911, mit dem Emery Max niedergeschossen hatte, um sicherzugehen, dass keine Fingerabdrücke von mir auf der Waffe waren. Dann drückte ich die Waffe kurz in seine rechte Hand, nahm sie wieder heraus und legte sie schließlich neben der Hand auf den Boden.
    Es war reine Zeitverschwendung, doch ich versetzte dem toten Mistkerl, der Jessica ermordet hatte, einen wütenden Tritt gegen den Kopf. Ich fühlte mich nicht besser dadurch. Nichts auf der Welt konnte mir helfen, mich besser zu fühlen.
    Ich ging in die Bar zurück, ohne über das Blut an meinen Händen nachzudenken, nahm zwei Gläser aus dem Regal hinter der Theke und öffnete die Flasche Tarantula Tequila. Ich schenkte zwei ordentliche Doppelte aus, kippte meinen in einem Zug hinunter und setzte mich mit dem anderen neben Coleman. An dem alarmierten Ausdruck in ihrem Gesicht sah ich, dass sie aus ihrem benebelten Zustand aufgewacht war und das Blut bemerkt
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