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Der stille Sammler

Der stille Sammler

Titel: Der stille Sammler
Autoren: Becky Masterman
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bewusst ist oder nicht, du hast gesagt, dass du gut bist und ich böse.« Ein Bild von Peasils Leiche ging mir durch den Kopf – wahrscheinlich nicht zum letzten Mal. »Dass ich all die Dinge verbergen muss, die ich gesehen habe, all die Dinge, die ich getan habe, und dass ich tun muss, als wäre ich so gut wie du.«
    »Du lieber Himmel, du hast allen Ernstes geglaubt, ich hätte mir nicht denken können, was du erlebt hast? Ich habe einen Doktortitel in Philosophie und einen in Theologie, und ich bin nicht dumm. Du musst nur endlich alles ausspucken.«
    »Bitte nicht, Carlo. Bitte zwing mich nicht, die ganze Wahrheit zu erzählen. Das führt zu nichts Gutem. Du wirst mich hinterher nicht mehr mögen.«
    »Dieses Risiko musst du eingehen. Weil ich keine andere Wahl sehe.«
    »Besteht denn überhaupt eine Chance, dass du mich nicht wegschickst?«
    Er war klug genug, mir nicht rundweg zu versichern, meine Angst sei unbegründet. »Wie es jetzt läuft, ist das keine gesunde Beziehung.«
    »So langsam begreife ich das, aber zu meiner Verteidigung möchte ich sagen, dass ich nie eine andere hatte.«
    »Wenn du offen und ehrlich bist, gibt es vielleicht diese Chance, von der du sprichst.«
    »Bevor ich mit meiner Beichte anfange – sagst du mir zuerst alles, was Sigmund dir über mich erzählt hat?«
    Er zögerte, um über meine Bitte nachzudenken, dann schüttelte er den Kopf. »Wir können uns Zeit lassen damit, aber für den Anfang musst du den Menschen vertrauen, die du liebst. Und du musst darauf vertrauen, dass sie dich ebenfalls lieben. Nur um ein Missverständnis auszuräumen – als ich dir die Geschichte von dem Mann mit der Maske erzählte, habe ich mich selbst damit gemeint.«
    In diesem Moment erhaschte ich einen kurzen Blick auf all die Männer, die Carlo gewesen war, all die Masken, die er getragen hatte. Ich mochte diesen Carlo, der jetzt redete, diesen starken Mann, der mir auf meinem eigenen Terrain entgegentrat. Vielleicht habe ich ihn deshalb geheiratet. Weil ich diesen Mann an meinem ersten Tag in seinem Seminar gesehen habe. Bis heute war alles andere zwischen uns nur der Versuch gewesen, in unterschiedliche Rollen zu schlüpfen. Vielleicht tun wir das immer, egal in welchem Alter wir sind.
    »Daphne«, sprudelte es aus mir hervor.
    »Was?«
    »Mein richtiger Name ist nicht Brigid«, sagte ich. »Ich wurde von meinen Eltern Daphne getauft, aber ich habe den Namen bei meinem Eintritt ins FBI geändert, damit die Jungs mich nicht auf den Arm nehmen.«
    »Das ist ein Anfang.« Carlo legte seine Hand auf meine, und die Berührung pulsierte in meinem Innern. Das Entscheidende dieses Augenblicks, die Gefahr, die darin verborgen lag, wurde mir erst jetzt bewusst. Ich war ihm nah genug, um sein Gesicht auch in der Dunkelheit zu erkennen.
    »Und jetzt küss mich«, sagte er.
    Ich tat es.
    Und dann sagte er in einer so dunklen Tonlage, von der ich gar nicht gewusst hatte, dass er sie überhaupt zustande brachte: »Ich liebe dich, Brigid.«
    Er sagte meinen Namen. Bis zu diesem Tag hatte er nie meinen Namen gesagt. Die unverblümte Konfrontation mit einem liebenden Mann ist furchterregend, sogar für mich. Ich erzitterte, löste mich von ihm und spürte, wie meine Augen feucht wurden. »Warum?«, brachte ich hervor, voller Zweifel, voller Angst vor der Intimität.
    Er verstand. Die Ernsthaftigkeit war so schnell verschwunden, wie sie gekommen war, und seine alte lässige Art kehrte zurück. »Ich will verdammt sein, wenn ich das wüsste«, sagte er und grinste.
    Ich setzte zu einer Erwiderung an, zu einer Ermahnung, nicht so schnippisch zu sein, doch dann beugte ich mich über die Konsole zwischen uns und küsste ihn so sanft auf die Schulter, dass ich nicht wusste, ob er es überhaupt spüren konnte. Das Gefühl seines Hemds auf meinen Lippen war wie eine Erlösung für mein wahres Ich, was immer das sein mochte. Ich ließ die Intimität zu und flüsterte: »Ich liebe dich auch, Carlo.«
    Er griff mit sanften Fingern in mein Haar und zog eine Nadel heraus. Eine weiße Locke fiel an der Seite meines Gesichts herunter.
    »Ich fühle mich ziemlich alt, Liebling«, sagte ich.
    Er nickte, und es gefiel mir, dass er bei der Wahrheit blieb. »Das ist bei mir auch so«, sagte er. »Es kommt und geht, und so wird es wohl bleiben, bis wir sterben. Aber weißt du, was David Weiss sonst noch über dich gesagt hat?«
    »Was?«
    »Er erwähnte junge Männer, die bei deinem Anblick anfangen zu träumen, ohne zu wissen
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