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Der stille Krieg - McAuley, P: Der stille Krieg - The quiet war

Der stille Krieg - McAuley, P: Der stille Krieg - The quiet war

Titel: Der stille Krieg - McAuley, P: Der stille Krieg - The quiet war
Autoren: Paul McAuley
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Klotz des Kalksteinaltars ruhte ein Tulpenholz-Sarg auf einem Meer aus süß duftenden Lilien und Orchideen. Hier lag Maximilian Pietro Solomon Cristagau Flores Peixoto, Ehemann der Präsidentin Großbrasiliens, Oberbefehlshaber der Luftverteidigungswaffe, Großzauberer des Ordens der Ritter von Viridis, Verwalter der Nördlichen Gebiete, Vorsitzender des Komitees für Versöhnung, Rektor der Universitäten von Montevideo, Caracas, Mexico City und Denver und so weiter und so fort, einer der mächtigsten Männer der Welt, der im Alter von einhundertzweiundsiebzig Jahren an systemischem Organversagen gestorben war. Das dunkle Gesicht des Toten schaute ruhig und ernst aus dem Leinentuch hervor, mit dem sein Körper
eingehüllt war. Sein berühmter Schnurrbart war zu akkuraten Spitzen gezwirbelt und gewachst worden. Seine Augen wurden von Goldmünzen verschlossen, die aus dem Wrack einer spanischen Galeone geborgen worden waren.
    Der Sarg befand sich über dem schmalen Wasserbecken, welches das kreisrunde Mittelschiff der Kathedrale durchschnitt. Das Wasser war schwarz wie Öl, und auf seiner Oberfläche bildeten sich hier und dort kleine, sich ausweitende Ringe, wenn Fische mit den Mäulern von unten dagegen stießen. Auf der anderen Seite des Beckens saß in festlicher Begräbniskleidung die Gemeinde, die sich in drei breiten Sitzabteilen drängte wie ein Parlament Krähen. Nahezu alle Mitglieder der Familie Peixoto waren anwesend und nahmen vierzig Reihen im mittleren Abteil ein, nach dem Grad der Blutsverwandtschaft geordnet. Die verwitwete Präsidentin saß auf einem mit einem Baldachin überspannten Stuhl in der Mitte der ersten Reihe, prachtvoll gekleidet in rußfarbene Gewänder, und schob hin und wieder die Hand unter den Schleier, der ihr Gesicht bedeckte, um eine Träne in einem winzigen Gefäß aus künstlichem Diamant aufzufangen. Hinter der Familie erhoben sich ernste Phalangen aus Senatoren und hochrangigen Offizieren der Streitkräfte, die funkelnde Galauniformen trugen, sowie Botschaftern und Politikern aus jedem Land der Erde. Außerdem stand hier der Gesandte von Rainbow Bridge, Kallisto. In den Sitzreihen links und rechts von ihnen befanden sich die Mitglieder der anderen großen Familien, Minister, Gouverneure, hochrangige Staatsbeamte und die Diener des Großen Hauses – ein Publikum aus zweitausend Menschen. Millionen weitere verfolgten die Bilder, die von feststehenden Kameras übermittelt wurden.
    Professor Doktor Sri Hong-Owen hatte keinen einzigen Tropfen Peixoto-Blut in ihren Adern, dennoch saßen sie und
ihr fünfzehnjähriger Sohn Alder Topaz bei der Familie auf der äußersten linken Seite der vierzigsten Sitzreihe im mittleren Abteil. Sie wohnten dem Begräbnis als Vertreter eines wichtigen Familienmitgliedes bei: Sris Förderer und Mentor, der grüne Heilige Oscar Finnegan Ramos, der inzwischen seine Einsiedelei in Baja California nicht mehr verließ, nicht einmal für einen Anlass, der so wichtig und bedeutsam war wie dieser.
    Der lange Gottesdienst war voller komplizierter Rituale. Erst die Messe, dann eine Predigt, in der das Leben des Toten gewürdigt wurde, schließlich die Zeremonie zur Vorbereitung des Toten auf das Jenseits und nun das Requiem. Die Musik war sicher sehr schön, aber Sri besaß keinerlei musikalisches Gehör und war deshalb nicht in der Lage, sie angemessen zu würdigen. Wie es ihrer Gewohnheit entsprach, wenn sie sich gezwungen sah, eine langwierige Zeremonie oder Komiteesitzung über sich ergehen zu lassen, zu der sie außer ihrer Anwesenheit nichts beizutragen hatte, zog sie sich in ihren Kopf zurück und grübelte über die aktuellen Tests einer vielversprechenden neuen Verbesserung der standardmäßigen gerontologischen Behandlung nach. Alder, der ganz in die Messe versunken war, stieß sie an, als Chor und Orchester einen ekstatischen Höhepunkt erreichten. Der Erzbischof, der in eine Mitra und Gewänder von grüngoldener Farbe gekleidet war, schritt zur Totenbahre hinüber, besprenkelte den Leichnam mit heiligem Wasser und strich ihm mit dem Daumen Öl auf die Stirn. Dann trat er einen Schritt zurück und machte das Zeichen des Kreuzes und des Kreises. Der Sarg neigte sich lautlos über dem Blumenbett, und die Leiche glitt mit den Füßen voran aus ihm hinaus, streifte dabei ihr Leichentuch ab und stürzte in das schwarze Wasser. Die Wasseroberfläche brodelte, als sich die hungrigen Fische gierig auf den Leichnam stürzten, um ihn zu fressen
und den
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