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Der stille Krieg - McAuley, P: Der stille Krieg - The quiet war

Der stille Krieg - McAuley, P: Der stille Krieg - The quiet war

Titel: Der stille Krieg - McAuley, P: Der stille Krieg - The quiet war
Autoren: Paul McAuley
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    Jeden Tag erwachten die Jungen, wenn um 6 Uhr morgens die Lichter angingen. Sie duschten und zogen sich an, machten ihre Betten, räumten den Schlafsaal auf und ließen die Inspektion durch einen ihrer Lektoren über sich ergehen. Das Frühstück bestand aus einem Klecks Maisbrei und einem Fingerhut voll grünem Tee. Sie aßen rasch, während sie einander an dem langen Tisch gegenübersaßen, und nur das Kratzen von Plastiklöffeln in Plastikschüsseln war zu hören. Es waren vierzehn Jungen – groß gewachsen, blass und so schlank wie gehäutete Schößlinge. Allesamt hatten sie blaue Augen. Ihre nackte Kopfhaut glänzte in dem kalten Licht, während sie sich über ihre karge Mahlzeit beugten. Sie waren zweitausendsechshundert Tage alt und damit vollständig ausgewachsen, wenn auch noch ein Rest jugendlicher Ungelenkigkeit verblieben war. Sie trugen graue Papierhemden und -hosen und dazu Plastiksandalen. Rote Zahlen waren auf die Vorder- und Rückseite ihrer Hemden gedruckt. Die Zahlen waren nicht fortlaufend, weil mehr als die Hälfte ihrer ursprünglichen Gruppe in den frühen Phasen des Programms ausgesondert worden war.
    Nach dem Frühstück nahmen die Jungen vor einem großen Bildschirm Aufstellung, flankiert von ihren Lektoren und den Avataren ihrer Lehrer. Eine Flagge füllte den gesamten Bildschirm der Länge und Breite nach aus, eine echte Flagge, die irgendwo auf der Erde aufgenommen worden war und sich sanft kräuselte, als würde sie von einer leichten Brise erfasst. Ihr grünes Leuchten überflutete die Gesichter der Jungen und brachte ihre Augen zum Funkeln, während
sie aufrecht in zwei Reihen dastanden, die rechte Hand mit gespreizten Fingern einem Seestern gleich auf die Brust gedrückt, um den Bündnisschwur zu sprechen.
    Jeden Morgen dieselben Rituale. Derselbe Videofilm. Dieselbe Flagge, die sich auf genau dieselbe Weise kräuselte. Derselbe blaue Streifen, der für einen kurzen Augenblick in der linken oberen Ecke des Bildschirms zu sehen war – der blaue Himmel der Erde.
    Einer der Jungen, Dave #8, wartete jeden Tag darauf, dass dieser kleine blaue Streifen auftauchte. Manchmal fragte er sich, ob seine Brüder ebenfalls danach Ausschau hielten, ob sie ebenfalls diese Sehnsucht verspürten nach jener Welt, zu deren Verteidigung sie erschaffen worden waren und die sie dennoch niemals besuchen würden. Er sprach nie darüber, nicht einmal mit seinem besten Freund, Dave #27. Solche Dinge – Gefühle, die einen auf den Gedanken bringen konnten, dass man sich von seinen Brüdern unterschied – behielt man besser für sich. Abweichungen von der Norm waren Schwächen, und jede Art von Schwäche musste unterdrückt werden. Dennoch wartete Dave #8 jeden Morgen voller Vorfreude auf den kleinen Streifen irdischen Himmels, der kurz auf dem Bildschirm zu sehen war, und wann immer er ihn sah, spürte er eine Sehnsucht in seinem Herzen aufflackern.
    Ihre Lektoren und Lehrer sprachen ebenfalls den Bündnisschwur. Vater Aldos, Clarke, Ramez und Solomon in ihrem weißen Habit, das von einer Kordel zusammengehalten wurde; die Gesichter der Lehrer schwebten in den Visoren der mannsgroßen und wie ein Mensch geformten Plastikhüllen ihrer Avatare. Jeden Montag, Mittwoch und Freitag waren es die Lehrer für Ökosystem-Management, Ingenieurwesen und Soziologie. Den Rest der Woche wurden Kriegstheorie, Psychologie, Ökonomie, Hindi, Japanisch, Mandarin und Russisch unterrichtet – die Jungen sprachen bereits
fließend Englisch, die Verkehrssprache des Feindes, aber in manchen feindlichen Siedlungen wurden immer noch die Sprachen der Länder verwendet, aus denen die Vorfahren der Siedler ursprünglich stammten, und deshalb mussten die Jungen auch diese lernen.
    Morgens gaben die Lehrer theoretischen Unterricht, und am Nachmittag und Abend hielten die Lektoren Praxisstunden ab. Die Wartung und Instandsetzung von Druckanzügen, die Programmierung und Anwendung von Dämonen und Datenmaulwürfen, Fahrzeug- und Flugsimulatoren und 3-D-Szenarios, die die Jungen mit allen Aspekten des Alltagslebens in den Städten des Feindes vertraut machten. Sie wurden in verschiedenen Kampfsportarten unterwiesen sowie im Bombenbau und der Sabotage. Sie trainierten mit Stöcken, Schwertern, Messern und allen möglichen anderen Schlagwaffen und Klingen. Die Übungsgeräte waren mit Gewichten beschwert, damit ihnen der Umgang mit den echten Waffen später leichter fiel. Sie lernten, Schusswaffen unter allen nur denkbaren
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