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Der Spion der Zeit

Der Spion der Zeit

Titel: Der Spion der Zeit
Autoren: Marcelo Figueras
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Duarte, dann Dumont, und wieder zu Nora) und deutete mit der freien Hand zum Sancta Sanctorum von Kommissar X.
    »Ja«, wiederholte Nadal. »Wird gemacht, Chef.«
    Dann legte er auf.
    »Er will Wasser«, murmelte Nadal. »Van Upp will Wasser. Heiß. Kochend heiß.«
    VIII
    Nora Duarte bestand darauf, ihm die Teekanne persönlich zu bringen; es war eine der wenigen Gelegenheiten, bei denen es von Vorteil sein konnte, dass sie eine Frau war. Sie klopfte. Keine Reaktion. Sie klopfte noch einmal und trat vorsichtig ein.
    »Das Wasser«, sagte sie.
    Van Upp stand mit auf dem Rücken verschränkten Händen am Fenster und starrte verloren aufs Meer; es war einer dieser Morgen, an denen der Nebel so dicht war, dass man nicht einmal die Schiffe in nächster Nähe erkennen konnte. Er trug einen außergewöhnlich eleganten Anzug, und sein Profil hätte man sich durchaus auf einer Münze vorstellen können.
    »Seltsam«, sagte er, ohne sich von der Stelle zu rühren.
    Nora blieb mitten im Büro stehen, die Teekanne in der Hand. Sie kam sich lächerlich vor.
    »Zum ersten Mal seit zehn Jahren betrete ich dieses Gebäude wieder. Wie Sie wissen, war ich lange Zeit …«
    »Außer Dienst.«
    »In einer psychiatrischen Anstalt.«
    Erst da drehte Van Upp sich zu ihr um, und ein Lächeln huschte über die untere Hälfte seines Gesichts. Nora hätte seine Gesichtszüge am liebsten eingesaugt, doch das markante V der Brauen hatte etwas Unmenschliches, und sie musste den Blick abwenden.
    »Ich bin überrascht«, sagte Van Upp, »dass die Dinge sich so wenig verändert haben. Als wäre nichts geschehen, als hätte ich das Büro gestern und nicht vor zehn Jahren verlassen und wäre heute einfach so zurückgekehrt. Ich bin sogar denselben Weg gegangen wie damals. Kann es sein, dass weniger Bäume in den Straßen stehen?«
    »Es gab lange Dürreperioden.«
    »Für die meisten Leute ist es beruhigend, wenn alles gleich bleibt. Ich hingegen … Wie sieht es mit der Einheit aus? Der Polizeichef ist noch derselbe, ich weiß. Aber sonst: Ist Arévalo noch bei der Beschaffung? Valdez bei der Internen? Carranza in der Gerichtsmedizin?«
    Noras Schweigen sollte Ja bedeuten.
    »Ihr Name ist Duarte, nicht wahr?«
    »So ist es.« (Ihre Stimme zitterte.)
    »Darf ich Sie um etwas bitten?«
    »Selbstverständlich«, sagte sie und stellte die Teekanne auf dem Schreibtisch ab. Sie griff nach Stift und Papier. Einen Moment lang fürchtete sie, er wolle sie zur Schreibkraft degradieren.
    »Beschaffen Sie mir ein Buch oder Zeitungen, damit ich mir ein Bild von den Vorkommnissen während der Prätorianerzeit machen kann. Das eine oder das andere weiß ich vom Hörensagen, aber ich brauche genauere Informationen. Was Ferrer und Abellán betrifft, hätte ich gerne eine Kopie aller Untersuchungsberichte.«
    Ein Sonnenstrahl erhellte das Büro. Van Upp zog eine getönte Brille mit Horngestell aus der Tasche; damit fiel das V der Augenbrauen weniger auf. Er hatte eine dunkle, sonnengegerbte Haut, und im Gegensatz dazu dünnes hellblondes, fast weißes Haar.
    »Noch etwas?«, fragte Nora.
    »Jalousien.«
    »Wie bitte?«
    »Ich weiß, das ist unzumutbar bei Ihrem Dienstgrad«, sagte Van Upp und ging um sie herum; eine Dampfsäule stieg von der Kanne auf, und Nora hatte das Gefühl, im Büro sei es eiskalt geworden. »Aber ich bitte Sie um diesen Gefallen. Ich wäre Ihnen sehr dankbar.«
    Van Upp nahm sich neben ihr wie ein Turm aus. Noras Blick war starr auf die Perle in seiner Krawatte gerichtet.
    »Ich melde mich«, sagte er.
    Unberührt ließ er die Teekanne auf dem Schreibtisch zurück, nahm Mantel und Hut und ging zur Tür.
    Beim Hinausgehen fiel ihm noch etwas ein.
    »Glauben Sie an das Schicksal?«, fragte er Nora.
    »…«
    »Klingt nach einer dieser Fragen, wie man sie heute nur noch in Frauenzeitschriften liest, nicht wahr?«, sagte er. »Ich habe noch nie mit einer Frau als Ermittlerin zusammengearbeitet. Was hat Sie dazu bewogen, Ihr Glück in diesem Beruf zu versuchen?«
    »Mein Vater war Polizist«, sagte Nora. »Und als einziges Kind musste ich mir ständig seine Kommentare, seine Einschätzungen und seine Geschichten anhören. Ich bin sicher, mein Vater hätte sich ein anderes Publikum gewünscht, aber …«
    Sie hielt einen Moment inne und hing ihrer Erinnerung nach. Dann holte sie Luft und sprach weiter.
    »Ich habe schnell gemerkt, dass seine Urteile ziemlich einseitig waren. Ein Mann, der nur mit Männern zusammenarbeitet. Es fehlte ihm der
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