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Der Spion der Zeit

Der Spion der Zeit

Titel: Der Spion der Zeit
Autoren: Marcelo Figueras
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lehnten die Amnestie ab, weil sie in ihren Augen eine erbärmliche Lösung war, die sie mit gewöhnlichen Verbrechern gemein machte. Und sie wollten mehr als die Freiheit. Sie wollten bejubelt werden. Daher ließen sie keine Gelegenheit aus, ihr Missfallen daran zu bekunden, auch wenn Prades das wie gewohnt mit seinem unerschütterlichen Lächeln tat.
    V
    Der Minister setzte den Polizeichef unter Druck, die Ermittlungen zügig zu Ende zu bringen. Der Polizeichef bedrängte seinen besten Mann, Kommissar X, der von Anfang an mit der Angelegenheit betraut war. Kommissar X gab das Ultimatum an seine Kollegen von der Abteilung für kriminaltechnische Untersuchung weiter. Und dort gingen die Ermittler noch einmal alles durch, beugten sich über ihre Mikroskope, erhitzten die Pipetten.
    Man fand genauso viel heraus wie bei den ersten Ermittlungen: nichts. Als gesichert galt lediglich, dass Ferrer verblutet und Abellán ertunken war; dort standen die perlfarbenen Glasfläschchen mit dem Wasser aus seinen Lungen. Die Kriminaltechniker tüteten ihre Berichte ein (eine Kopie der früheren, mit ein paar Unterstreichungen und einem neuen Datum versehen) und schickten sie an Kommissar X, der mit seiner Kündigung unter dem Arm zum Polizeichef marschierte.
    Die Opposition wollte aus dem Wirbel Kapital schlagen. Ihre Gesetzesfachleute schlugen vor, eine Kommission zu gründen, die das Amnestiegesetz noch einmal prüfen sollte. Wie gewohnt setzten sie lieber auf lange Debatten und Papierkrieg, statt auf die einzige Hand Druck auszuüben, die das Ganze rückgängig machen konnte.
    General Prades parkte sein Coupé vor den Journalisten, die sein Haus belagerten, und erklärte, er verzichte auf jeglichen Polizeischutz. Diesen habe man ihm angeboten, ohne näher zu erläutern, ob man ihn vor einem spontanen Angriff des Mobs oder vor dem bewahren wolle, das zum Tod von General Ferrer und Major Abellán geführt hatte, was es auch gewesen sein mochte.
    »Wie soll mich ein Polizeiapparat schützen«, sagte Prades, »der nicht einmal in der Lage ist, herauszufinden, wie das Wasser in dieses Haus gelangt ist?«
    VI
    Eine weitere Frage beschäftigte die Polizei. Nach der Kündigung von Kommissar X brauchte man einen neuen Chefermittler. Erste Wahl war ohne Zweifel Kommissar Y, ein Polizeibeamter, der mit seiner Verhaftungsliste einen neuen Rekord aufgestellt hatte. Doch Y lehnte das Angebot ab. Er stand einen Monat vor seiner Pensionierung und fand es unprofessionell, mit einer Ermittlung zu beginnen, die er kurz darauf abbrechen müsste.
    Z hingegen nahm an. Er zog sich mit den Akten in sein Büro zurück. Eine Stunde später kam er wieder heraus, um sich ein Glas Wasser zu holen. Ein Anfall streckte ihn auf halbem Weg nieder, von Krämpfen geschüttelt lag er auf dem Flur. Die Diagnose im Krankenhaus lautete eindeutig auf Hirnschlag, und die Ärzte konnten nicht mit Bestimmtheit sagen, ob er je wieder laufen oder richtig sprechen können würde.
    Der Minister höchstpersönlich bestellte den Polizeichef ein, um mit ihm über »einen Gedanken« zu sprechen, »der mir gerade in den Sinn gekommen ist«. Arglos eilte der Polizeichef sofort zu ihm; seit den Ereignissen der letzten Tage wunderte er sich über gar nichts mehr. Und so traf ihn das Ansinnen des Ministers völlig unvorbereitet.
    Der Minister wollte Van Upp als Chefermittler.
    Bei der bloßen Erwähnung dieses Namens verschüttete der Polizeichef seinen Tee. Er brachte gleich den ersten Einwand vor: Van Upp hatte einen Nervenzusammenbruch erlitten. »Einen heftigen«, betonte er und sah dem Minister in die Augen; er fragte sich, ob er offen sprechen und ihm sagen sollte, dass Van Upp verrückt geworden war.
    »Soweit ich weiß, ist er vollständig genesen«, sagte der Minister.
    Der Polizeichef zuckte mit den Schultern. Damit war alles gesagt, aber er wollte nicht Gefahr laufen, falsch verstanden zu werden, und formulierte es noch einmal in aller Deutlichkeit: »Niemand erholt sich vollständig von so was.«
    Der Minister blätterte in den Akten, die vor ihm auf dem Tisch lagen. Sein Standort erlaubte dem Polizeichef zwar keinen genauen Einblick, aber er konnte sich vorstellen, was sie enthielten: die Berichte von Van Upps Einweisung, gespickt mit psychiatrischen Fachbegriffen und konkreten Angaben über die Verabreichung von Medikamenten und Elektroschocktherapien.
    Der Polizeichef hatte diese Akte vor einiger Zeit gelesen, als er nach Aufschlüssen über Van Upps Herangehensweise
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