Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Spinnenmann

Der Spinnenmann

Titel: Der Spinnenmann
Autoren: Terje Emberland
Vom Netzwerk:
Dann ließ ich den toten Körper auf den Sitz plumpsen und richtete Krawatte und Brille.
    Als ich sein Gebiss zurückschob, fühlte ich etwas auf der Hand. Ich hielt es gegen die Glühbirne an der Decke; winzige Glasscherben saßen auf meiner Fingerspitze. Die Scherben rochen schwach nach bitteren Mandeln.
    Elvestad hatte eine Blausäurekapsel verschluckt. Und das war selbstverständlich nicht freiwillig geschehen.
    Ich dachte darüber nach, das Gebiss abzuspülen, doch bevor ich dazu kam, stand Herr Steiner plötzlich direkt hinter mir.
    »Ist er tot?«, fragte er.
    Ich nickte. »Das musste ja passieren, bei seinem Lebenswandel. Sieht nach Herzversagen aus.«
    »Ich rufe einen Arzt.«
    Ich folgte Herrn Steiner. Während er sich an den Empfang setzte, um zu telefonieren, holte ich die Mäntel aus dem Speisesaal. Gerade, als ich zurückkam, legte Herr Steiner auf.
    »Dr. Urdahl-Aasen kommt sofort«, sagte er und sah mich fragend an. »Sollte ich nicht auch die Polizei rufen?«
    »Wir warten besser ab, was der Arzt sagt.«
    Verzweifelt schüttelte er den Kopf. »Stein Riverton. Tot in meinem Hotel.« Mit erwartungsvollem Glanz in den Augen sah er danach mich an. »Überlegen Sie mal, was das für ein höllisches Aufsehen nach sich zieht.«
    »Hier«, sagte ich und reichte ihm meinen Ulster. »Der gehört Elvestad.«
    Herr Steiner nahm den Mantel in Empfang, als hätte man ihm ein Kleinod vermacht. Ich konnte förmlich sehen, wie sich in seinem Kopf die Idee bildete, Hövers Hotel zu einem Elvestad-Museum zu machen.
    »Ich brauche frische Luft«, sagte ich. »Wenn jemand nach mir verlangt, ich bin in einer Viertelstunde zurück.«
    Ich zog Elvestads knöchellangen Wintermantel über und trat auf den Ausgang zu. Ich konnte gerade noch dem Doktor ausweichen, der mit zerzaustem Haar und einer großen, schwarzen Tasche in die Hotelhalle gestürzt kam.
    Natürlich hatte ich Elvestads Ermordung nicht leichten Herzens zu vertuschen versucht. Aber es wäre ziemlich verhängnisvoll geworden, wenn man mich in eine polizeiliche Ermittlung hineingezogen hätte. Nun würde es hoffentlich eine Weile dauern, bevor der Arzt begriff, dass es sich bei dem Todesfall um einen Kriminalfall handelte, sodass es mir möglich sein würde, die Bosphorus zu erreichen. Dass ich den Tatort manipuliert hatte, war etwas, wofür ich später geradestehen würde.
    Am Rathausplatz bestieg ich eine freie Droschke. Nach zehnminütiger Fahrt entlang der Ostseite des Skienselvs, bog der Chauffeur von der Landstraße ab. Kurze Zeit später kamen Lagerhäuser und Lastkräne zum Vorschein - wir näherten uns der Verladeanlage von Norsk Hydro in Menstad. Das Areal war mit einem hohen Bretterzaun abgesperrt, und als wir am geöffneten Tor anlangten, stoppte der Fahrer den Wagen.
    »Von hier ab müssen Sie laufen«, sagte er und fügte hinzu: »Das macht eine Krone und fünfundsiebzig Ose.«
    Ich stieg aus. Sofort überkam mich das Gefühl, dass etwas nicht stimmte. Es war viel zu ruhig. Keine Geräusche vom Hafen, die Kräne standen still. Unten am Kai bestätigte sich mein Verdacht. Weit und breit war kein Schiff zu sehen.
    Die Bosphorus hatte den Hafen bereits verlassen.
     
    Ein fliegendes X
     
    Ich betrat das Verwaltungsbüro, dessen Wände mit Bildern ehemaliger Hydro-Bosse sowie von Fabriken, Anlagen und Schiffen geschmückt waren. Vier Büroangestellte arbeiteten an ihren Schreibtischen, und in einem kleinen, abgetrennten Büro saß eine Frau in mittleren Jahren, die eine Geldkassette vor sich stehen hatte und Scheine abzählte.
    Einer der Büroangestellten blickte auf. »Bitte schön?«
    »Erik Erfjord von Arbeiderbladet in Oslo«, sagte ich. »Ich bin gekommen, um über Fred. Olsens neue Palästina-Route zu schreiben, aber anscheinend bin ich zu spät gekommen.«
    »Ja, leider. Die Bosphorus hat vor einer Dreiviertelstunde abgelegt.«
    Ich nickte entmutigt. »Und sie fährt direkt nach Tel Aviv?«
    »Das kann ich Ihnen leider nicht beantworten.«
    »Nein, tja.«
    »Aber vielleicht Frau Wodroff-Cheyne. Sie ist in der Regel gut informiert.«
    Der Büroangestellte erhob sich und lief zu dem abgetrennten Raum.
    »Eline, könntest du mal einen Augenblick herkommen?«
    Frau Wodroff-Cheyne schloss die Geldkassette und kam zu uns heraus. Sie war eine recht anziehende Frau Ende vierzig.
    »Ich habe Ihre Frage gehört«, sagte sie. »Die Bosphorus ist auf dem Weg nach Kristiansand. Von dort aus fährt sie morgen Abend weiter.«
    Ich hätte sie am liebsten umarmt.
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher