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Liebesbrand

Liebesbrand

Titel: Liebesbrand
Autoren: Feridun Zaimoglu
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    Es wurde dunkel, es wurde hell, dann aber starb ich. Ein Stoß – mehr brauchte es nicht, um mich zu töten. Ich wurde aus dem Schlaf gerissen,
     ich wurde aus dem Sitz geschleudert, ich sah, bevor ich auf dem Mittelgang aufschlug, wie der Bordmonitor barst und der Mann
     auf der anderen Fensterseite im Funkenregen erlosch, ja, auch er bezahlte mit seinem Leben, ich sah den Metallspieß, dem ich
     entgegenflog, nur für einen kleinen häßlichen Augenblick, dann hüllte mich die Finsternis ein, und ich lag zwischen den Sitzen,
     hörte wenige Sekunden vor meinem Tod einen Schrei, schloß die Augen. Und ich erinnerte mich: Wenn sich der Mensch für den
     dunklen Traum schminkt, verbleicht der Glanz.
    Und ich erinnerte mich: Wenn man stirbt – kurz bevor der Faden reißt –, leiten die Nerven Millionen von Impulsen weiter, und
     vielleicht ist diese Impulsexplosion das Fegefeuer, die kleine Hölle vor dem Eintritt in das große Paradies. Ich war nicht
     darauf vorbereitet, ich hatte Angst.
    Es ging ein kalter Windhauch über mein Gesicht, und ich drehte mich in die Seitenlage, um besser sterben zu können – wann
     habe ich die Augen geöffnet? Über einer zersplitterten Armlehne hing ein junger Mann, der Rasurbrand oder die Furcht hatte
     seine Wangen gerötet, er mahlte mit den Zähnen, nein, er sprach zu mir, jetzt, da sich unsere Köpfe berührten, mußte ich ihn
     doch verstehen, er rüttelte mich wach mit seiner freien Hand, und plötzlich brach der Lärm in meine |6| Welt, der Lärm der Männer und Frauen im Nachtexpreßbus, ich sah die hinteren Sitze brennen, das Feuer ließ Glas, Metall und
     Holz knacken. Ich mußte mich aufgerichtet haben, der junge Mann hatte das Bewußtsein verloren, ich wollte ihn aus dem Sitz
     ziehen, doch ein Stoß warf mich zu Boden, ein Schatten stieg über mich hinweg, und ich spürte einen scharfen Schmerz in meiner
     Schulter. Wie kann ich hier sterben? dachte ich, das darf nicht sein, also erhob ich mich aufs neue, ich verlor beim Aufrichten
     das Gleichgewicht und schloß vor Angst die Augen, zwang mich, sie zu öffnen, und da prasselten Glassplitter auf mein Gesicht
     herunter, der Schatten schlug immer und immer wieder mit einem kleinen Hammer nach oben. Das konnte unmöglich sein, wieso
     bestand die Decke aus Glas, wieso zog es mich zur Seite, und als ich an mir heruntersah, entdeckte ich eine blutige Hand,
     der junge Mann zerrte an mir, ich umgriff seine Hüfte, er drehte sich aus seinem Sitz hoch. Schau nicht hoch! brüllte ich
     und wischte mir den Schweiß aus den Augen, wir waren in der Nähe der donnernden Hammerschläge, und das Licht des Feuers aus
     dem hinteren Busende verwandelte den Schatten in einen alten Mann, der sich durch das Loch in der Glasdecke zwängte, die Glaszacken
     schnitten ihm in die Hose, die rechte Sandale löste sich vom Fuß. Jetzt bist du dran! brüllte ich und ließ mich auf alle viere
     fallen, der junge Mann stieg auf meinen Rücken, und einige Sekunden später schaute er auf mich herunter, jetzt du! schrie
     er und streckte mir seine Hand entgegen, ich ergriff sie, ich zog mich hoch, ich schnitt mich, ich weinte drauflos.
    Auf dem Dach des brennenden Busses machten wir unsichere Schritte, doch da riefen uns Männer zu, wir sollten uns fallen lassen,
     sie würden uns auffangen. Wo kamen sie nur her, diese fremden Männer, ich wurde |7| vom Wrack weggeschleift, jemand schob mir ein zusammengeknülltes Hemd in den Nacken, und dann lag ich unter dem freien Himmel
     im Niemandsland, das war ein Platz, an den sich die blinden Hunde zum Sterben zurückzogen, so sagten es die Einheimischen,
     sie scharten sich zusammen auf dem kahlen Streifen Land neben der Leitplanke, in der Ferne aus dem Dunkel ragten laubnackte
     Bäume. Ich fror, ich hatte Schmerzen, ich fürchtete mich vor dem Dunkel, ich weinte leise.
    Su! Su! rief jemand aus der Nähe, und ich öffnete wieder die Augen und sah in ein Gesicht, in das Gesicht einer Frau, in das
     Gesicht einer Ausländerin, sie sprach das türkische Wort für Wasser mit einem starken deutschen Akzent aus. Was wollen Sie
     von mir? sagte ich leise und dann etwas lauter: Ich habe Ihnen nichts getan, lassen Sie mich in Ruhe, bitte. Ich hielt sie
     für eine Plünderin, die den Unglücksort aufsuchte, um den Verletzten die Armbanduhren und Brieftaschen zu rauben, ich konnte
     mich gegen sie nicht zur Wehr setzen, sie mußte doch ein Einsehen haben. Sie aber wühlte nicht in meinen
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