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Der Spinnenmann

Der Spinnenmann

Titel: Der Spinnenmann
Autoren: Terje Emberland
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TEIL I
     
    Die vier am 10. Januar 1934 in Rustads Wagen abgegebenen Schüsse stellten kein isoliertes Verbrechen dar. Sie bildeten den Abschluss einer Transaktion oder einer Serie von Transaktionen. Das absolute Schweigen, das über dieser Untat ruht, die Tatsache, dass nichts durchgesickert ist, das auch nur den geringsten Hinweis auf den Mörder liefern könnte, zeigt, dass der Mord in einem Kreis geplant und durchgeführt worden ist, zu dem Oslos Feld-, Wald- und Wiesengauner keinen Zugang haben.
     
    Fridtjof Knutsen, 1937
     
    Prolog
     
    Wäre der Brief nicht gewesen, den Mr. George mitbrachte, hätte ich das Ganze wohl für einen Albtraum gehalten. Es war der 3. April 1935, ein ungewöhnlich klarer Tag für den zeitigen Frühling. Ich hatte mich die Verandatreppe in der Arendalsgate hinunterschleppen können und saß mit einem Stapel Zeitungen auf dem Schoß vor der Sonnenwand. Mutter hatte einen Wohnzimmerstuhl für mich herausgebracht. Jetzt stand sie klein und eingesunken mit ihrer typischen Gretchenfrisur und der bestickten Simmentalschürze in der Tür, hielt eine Kanne in der Hand und kniff im grellen Licht die Augen zusammen.
    »Schätzchen, möchtest du einen Schluck Kaffee?«
    »Ja, bitte.«
    Am Hang hinunter nach Myralokka lugten die ersten grünen Grasbüschel durch die verstaubte Schicht aus Vorjahrsgras, und Myrens Mekaniske Verksted hatte die Tore der Maschinenhalle für die Frühlingsluft geöffnet. Drinnen leuchtete eisblau ein Schweißapparat auf.
    Mein Vater stand nicht mehr dort. Er lag seit dem Herbst 1929 auf dem Friedhof Nordre Gravlund. Zwei Jahre später war mein Bruder Gunnar gestorben. Um mich und Mutter war es danach still geworden, aber jetzt hatte sie immerhin für einige Monate mich pflegen können. Der Arzt im Krankenhaus in Kristiansand hatte mehrere komplizierte Brüche im linken Bein, eine kräftige Gehirnerschütterung und einen Bruch in der Hüftschale festgestellt, weshalb ich mich auf eine lange Zeit der Untätigkeit vorbereiten musste.
    Ich weiß nicht mehr, wie ich im Krankenhaus gelandet war, aber eine Schwester erzählte, zwei ausländische Herren hätten mich mit einer Droschke gebracht. Sie hatten berichtet, mir sei an Bord der M/S Bosphorus ein böser Unfall passiert. Das Krankenhaus hatte sich mit dieser Erklärung offenbar zufriedengegeben.
    In Wirklichkeit war ich an allem selbst schuld. Im Nachhinein kann ich nur froh sein, dass ich mit etwas über drei Monaten der Rekonvaleszenz davongekommen bin. Den meisten anderen, die mit der Sache zu tun hatten, war weitaus Übleres beschieden.
    Rasch durchblätterte ich meinen Zeitungsstapel. Auch diesmal stand nichts drin. Das kam an sich nicht unerwartet. Abgesehen von einer kurzen Meldung gleich vor Weihnachten, wo es um die Verunglückten im Reddalskanal gegangen war, wurden die Ereignisse in der Presse nicht erwähnt. Die Todesfälle an der Südküste wurden als »Liebestragödie« abgetan. In Verbindung mit Sven Elvestads Tod brachten die Zeitungen natürlich lange Nachrufe, aber niemand fand es verdächtig, dass am Ende sein Herz den alkoholisierten Autor im Stich gelassen hatte.
    »Hallo, Erik. Da sitzt du jetzt also in der Sonne. Du siehst besser aus.«
    Ein kräftiger, jovialer Mann in einem zerknitterten Tweedanzug kam mit einer großen Papiertüte den Hang von Myralokka hoch. Es war Mr. George, mein Kollege von Arbeiderbladet und einer der tüchtigsten Kriminalreporter der Hauptstadt. Ohne auf Antwort zu warten ging er zum Beet am Ende des Gartens, fiel auf die Knie und entfernte verwelkte Blätter von den Pflanzen.
    »Bei diesem Wetter können die Blumenzwiebeln früher gesetzt werden als sonst. Ich habe vom Youngstorg einige Krokusse und Zwerggladiolen mitgebracht. Schau her. Jetzt brauche ich einen kleinen Spaten.«
    »Da hinten bei der Treppe liegt einer«, sagte ich. »Wie läuft es denn eigentlich in der Redaktion?«
    »Ach, du weißt schon, das übliche Chaos …«
    Mr. George streifte seine Jacke ab, krempelte die Hemdsärmel hoch und fing an, eine Reihe Löcher für die Zwiebeln zu graben. Sein Traum war es gewesen, Gärtner zu werden, aber ein gebrochenes Gewehr am Revers hatte ihn seine Lehrstelle gekostet. Für einen roten Antimilitaristen waren grüne Finger nicht genug. Also wurde es zu seinem Los im Leben, Sprachzwiebeln zu züchten, wie er oft sagte.
    Er murmelte etwas, während er da auf den Knien lag, scheinbar zutiefst konzentriert auf die Gartenarbeit.
    »Was hast du gesagt?«
    »Ich habe
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