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Der Spinnenmann

Der Spinnenmann

Titel: Der Spinnenmann
Autoren: Terje Emberland
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ausgestreckten Hand zu mir zurückgelaufen.
    »Für dich ist heute morgen ein Brief gekommen«, sagte er atemlos.
    »Das hab ich in der Eile vergessen. Tut mir leid.«
    »Alles klar«, sagte ich und steckte den Brief in meine Manteltasche. »Sei vorsichtig mit dem Karton. Ich will nicht, dass du den Inhalt in der ganzen Straße verstreust!«
     
    Auf der Fahrt versank ich in Gedanken. Ich konnte mir die Episode mit Lennart einfach nicht aus dem Kopf schlagen.
    Wir fuhren vorbei an Besserud, wo der eigentliche Hang zum Holmenkollen beginnt. Der Wagen wurde in den ersten Gang geschaltet, um die kurvenreiche und immer steilere Straße zu bewältigen. Meine Laune hob sich beim Anblick von Schnee und vereisten Pfützen zwischen den Tannen. Wie alle anderen in Oslo hatte ich es satt, auf den richtigen Winter zu warten. Der war bis Weihnachten ausgeblieben, und jetzt, nach einer knappen Woche des neuen Jahres, war der Boden noch immer schneefrei. Es gibt nichts Deprimierenderes als Winteroslo ohne Schnee! Es ist pechschwarz, wenn du aufstehst, du stapfst durch Matsch ins Büro, arbeitest den ganzen Tag bei Lampenlicht, und wenn du endlich fertig bist, tastest du dich hinaus in die Dunkelheit und fährst resigniert mit der Straßenbahn nach Hause. Es war eine dringend nötige Kur, hier heraufzukommen und die Jahreszeit so zu erleben, wie sie sein sollte.
    Beim Holmenkollen-Sanatorium bog der Wagen auf den Keiser Wilhelmsvei ab und rollte durch eine perfekte Winterlandschaft mit hohen Schneewällen am Straßenrand. Auch wenn es ein Werktag war, wurden wir immer wieder von Skiläufern und Kindern auf Schlitten aufgehalten, die sich auf der Fahrbahn bewegten. Endlich hatten wir Wilhelmshoi erreicht und ich stieg die Auffahrt zu Fuß hoch.
    Ich hatte Wilhelmshoi schon zwei- oder dreimal besucht und erinnerte mich an das Hotel dort. Es war ein stattliches Gebäude im Schweizer Stil mit überdachter Veranda gewesen. Jetzt gab es nur noch eine Grundmauer und zwei Schornsteine, die aus dem Aschehaufen ragten. Ich hatte bei diesem Anblick ein Dejá-vu-Gefühl. Ich weiß gar nicht mehr, wie off ich zusammen mit Polizisten vor solchen Ruinen gestanden habe. Es roch nicht nur nach Brand, sondern auch nach Brandstiftung. Solche Fälle waren off ebenso offensichtlich wie hoffnungslos, wenn sie aufgeklärt werden sollten. Die Versicherungsgesellschaft blieb mit dem Schwarzen Peter sitzen und musste die Täter auszahlen. Nur gut, dass die Branche einen Mann wie Bürochef Wilhelm Brodin hatte.
    »Der ungekrönte Detektivkönig der norwegischen Versicherer« wurde er genannt, und er sah auch so aus. Wie er dastand, erinnerte Brodin an einen amerikanischen Polizisten. Eine breite, kräftige Gestalt, die Melone ein wenig zurückgeschoben, den Stock am Unterarm hängend und die Daumen in die Armlöcher der Weste verhakt. Er hatte mollige Wangen und ein Doppelkinn, und er redete im Tempo eines Maschinengewehrs.
    »Von Arbeiderbladet?« Er hielt mir seine Pranke hin. »B-r-r-odin der Name!«
    Ich sah mir die Brandstätte an. »Das war doch sicher ein Kurzschluss?«, fragte ich, um ihn ein wenig zu provozieren.
    Brodin schnaubte. »Kurzschluss, du meine Güte! Wissen Sie, wie viele Brände ich schon untersucht habe, seit ich bei der Norsk Alliance arbeite? Nicht? An die hundert. Und wissen Sie, wie oft ich feststellen konnte, dass der Brand natürliche Ursachen hatte? In weniger als der Hälfte dieser Fälle.«
    Ich zog meinen Notizblock hervor. »Und bei den anderen war es Brandstiftung?«
    Brodin nickte. »Sie haben doch sicher von Birger Bay gehört? Ich nehme den Mund nicht zu voll, wenn ich behaupte, dass er allein für zwanzig, vielleicht dreißig dieser Brände die Verantwortung trägt.«
    »Das sind schwerwiegende Anschuldigungen, Brodin. Soviel ich weiß, ist Bay niemals wegen Brandstiftung bestraft worden.«
    »Wie viele hierzulande sind das denn wohl? Außerdem verfügt Bay über einen Mitverschworenen mit juristischer Kompetenz. Rechtsanwalt Walter Fredriksen. Wenn man die Unterlagen der Ermittlungen durchsieht, stellt man fest, dass dieser Name immer wieder als Zeuge der Verteidigung oder Teilhaber an Bays Schwindelunternehmen auffaucht.«
    »Sie bezeichnen Bay also als Betrüger. Darf ich das schreiben?«
    Brodin pflanzte mir den Zeigefinger an die Brust. »Das dürfen Sie schreiben. Vor einem Jahr hat Bay das Gut Omberg in Asker für 170000 Kronen gekauft. Es wurde ihm überschrieben, nachdem er dem früheren Besitzer die Hälfte der
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