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Der Spinnenmann

Der Spinnenmann

Titel: Der Spinnenmann
Autoren: Terje Emberland
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nicht so recht wusste, was ich vom Abriss des Rode Molle halten sollte. Alle in Oslo, ob aus dem Osten oder dem Westen, waren stolz auf »Skandinaviens größten und mondänsten Tanzpalast«. Im Rode Molle gab es um die riesige Tanzfläche mit den Musikpodien an beiden Enden über zweihundert Tische. Es gab blinkende Spiegelkugeln unter der Decke, es gab Glitzer und Glanz, muntere Menschen - und nicht zuletzt Jazz von bester Qualität, obwohl die Kapellen nur aus norwegischen Musikern bestanden.
    Ich wurde gleich hinter den Glastüren vom Empfangschef angehalten.
    »Ich gehöre zu Herrn Winthers Gesellschaft«, sagte ich und reichte ihm die Einladung.
    »Sie finden Herrn Winther in der Silver Bar.« Er drehte sich um und wies mir die Richtung. »Danke, ich weiß, wo das ist.«
    Gleich darauf stand ich mitten in einer Menge aus Männern im Anzug und Frauen im Abendkleid. Sofort sah ich Lennart.
    Er redete mit einem jungen Mann, der die kurze weiße Jacke der Funny Boys mit dem schwarzen Revers trug. Die Hauskapelle legte eine wohlverdiente Pause ein, während am anderen Ende des Saales Schwartz’ Swingorkester aufspielte. Lennart sah mich.
    »Aber da haben wir ja Erik!«, rief er. »Komm, du musst Oivind Bergh kennenlernen! Er misshandelt das Saxophon bei den Funny Boys schon, seit er seine Geigenstudien in Deutschland abbrechen musste.« Lennart gab vor, den Rest flüstern zu müssen: »Wegen Hitler!«
    »Naja«, protestierte Bergh. »Die Geige war auch nicht gerade mein Instrument…«
    Lennart achtete nicht auf ihn. »Bergh behauptet, dass jetzt jeglicher Musikunterricht im Marschrhythmus vor sich geht. Der Führer hat nämlich alle jüdischen Professoren von den Konservatorien gefeuert und durch Parteigenossen ersetzt.«
    Er lachte schrill. Dann riss er sich zusammen, zog ein Taschentuch hervor und wischte sich den Schweiß von der bleichen Stirn.
    Ich drückte Bergh die Hand. »Und so hat der Führer dafür gesorgt, dass die degenerierte Negermusik< noch ein Talent in ihren Reihen aufnehmen konnte.«
    Der Scherz fiel auf guten Boden. Ich hatte jedoch einen winzigen Beigeschmack auf der Zunge. Ich zitierte nämlich nicht Hitler, sondern den Vorsitzenden der Arbeiterjugend unseres Bezirks. Dem hatte ich mehrmals erklärt, dass gerade Jazz die Musik der Arbeiterjugend sein müsste, weil er die Freiheitssehnsucht eines unterdrückten Volkes zum Ausdruck bringt. Aber vergeblich.
    Bergh bat um Entschuldigung. Er habe es eilig, müsse irgendwelche Noten holen, ehe er weiterspielen könne.
    Lennart zog mich in die brechend volle Bar, wo alle wild durcheinander brüllten, um die Kapelle zu übertönen. Es war wie hinter der Bühne des Chat Noir, ich erkannte Lalla Carlsen, Per Kvist, Randi Heide Stehen, Berühmtheiten, mit denen Lennart auf der Bühne stehen würde, wenn im Herbst die Revue Premiere hätte. An einem Tisch saß allein eine blonde junge Frau. Sie schien es nicht weiter interessant zu finden, in einer so prominenten Gesellschaft gelandet zu sein.
    »Meine Verlobte, Kiss Lorenz oder Kristin Lorentsen, wie sie eigentlich heißt.«
    Fräulein Lorenz würdigte mich eines schlaffen Händedrucks. Ihre träumenden Augen nahmen mich kaum wahr. Sie hatte offenbar die Art träger Eleganz studiert, die gerade modern war.
    »Setz dich, Erik!«, sagte Lennart. »Die erste Runde geht auf mich. Wäre dir ein Cognac mit Soda recht? Und du, Kiss, möchtest du noch einen Wermut?«
    Beide gaben wir grünes Licht, und er begann, sich einen Weg zum Tresen zu bahnen.
    Er hinterließ ein bedrückendes Schweigen. Ich hatte keine Erfahrungen mit Frauen von Fräulein Lorenz’ Kaliber und schon gar nicht damit, den passende Gesprächsbeginn zu finden. Ich bedauerte das. Es wurde nicht leichter dadurch, dass sie so ungeheuer anziehend war. Das soll nicht heißen, dass sie sich auf irgendeine Weise angeboten hätte. Statt einem dieser rückenfreien Abendkleider hatte sie ein eng sitzendes rotes Seidenkleid gewählt, das alle Haut zwischen Hals und Knöcheln bedeckte. Ihre Frisur war schlicht, mit einem tief sitzenden Scheitel auf der linken Seite und einer schräggezogenen roten Baskenmütze. Aber ihre schläfrigen Augen und ihr sinnlicher Mund waren eine ernsthafte Herausforderung für jeden Mann mit ehrlichen Absichten. Und das lange Kleid war eng genug, die kleinen festen Brüste und die schlanke Taille zu betonen.
    Als die Zeit verging, ohne dass mir eine Bemerkung eingefallen wäre, verlor Fräulein Lorenz jegliches Interesse.
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