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Der Spinnenmann

Der Spinnenmann

Titel: Der Spinnenmann
Autoren: Terje Emberland
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Versuch und war eigentlich nur noch verwirrter.
     
    Lieber Erik!
    Zur Feier meiner Rückkehr aus Berlin und meines Engagements in der neuen Lalla Carlsen-Revue im Chat Noir lade ich alte und neue Freunde zu einem Abend im Rode Molle ein. Da Du mein ältester Freund bist (und zweifellos der beste, den ich je gehabt habe), bist Du natürlich eingeladen. Lass alles stehen und liegen und komm heute Abend um acht. Kleidung: locker (aber keine Manchesterkniehosen und Bergsteigerschuhe!).
     
    Dein Lennart
    (bekannt aus zahllosen Nebenrollen in billigen deutschen Produktionen )
     
    Heißer Jazz, kühle Damen
     
    Es brauchte seine Zeit, das Brodin-Interview fertigzuschreiben. Ich hatte es für ausreichend gehalten, Bay und Rechtsanwalt Fredriksen nicht namentlich zu erwähnen, aber da hatte ich mich sehr geirrt. Ich wollte gerade zusammenpacken, als Mr. George kam und das Manuskript vor mich auf den Schreibtisch legte.
    Er zeigte mit dem Mundstück seiner Stummelpfeife darauf. »Diese Brandtstifterbande, die du hier erwähnst - das ist die von Birger Bay, nicht wahr?«
    »Ja.«
    »Dann hat Bürochef Brodin dich falsch informiert. Bay hat schon seit fast einem Jahr keinen Brand mehr gelegt. Stattdessen hat er sein Schmugglerboot wieder zu Wasser gelassen. Es ist schon mehrmals draußen bei Herthas Flak beobachtet worden. Offenbar haben Bay und seine Leute ihr altes Geschäft wieder aufgenommen.«
    Resigniert fuhr ich mir mit der Hand durch den Pony.
    »Aber Svendsen, hör mal - mit Alkoholschmuggel ist doch nicht mehr viel Geld zu verdienen?«
    »Dann geht es wohl um eine andere Art von Schmuggelware.«
    »Na gut«, sagte ich. »Aber deshalb brauche ich das Interview ja wohl nicht zu ändern? Die Leser erfahren ja nicht, mit wem Bürochef Brodin den Wilhelmshoi-Brand in Verbindung bringt. Ich erwähne Bay doch nicht mit Namen.«
    Mr. George musterte mich mit strengem Blick. Das war offenbar eine elende Entschuldigung dafür, dass ich in der Zeitung Halbwahrheiten weitertragen wollte.
    »Streich alle Hinweise auf Bay«, sagte er kurz, »und denk daran, wenn du das nächste Mal mit Brodin zu tun hast. Der hat nichts anderes als Brandstiftung im Kopf.«
    Dann verließ er das enge Büro, das wir im Moment mit der Gewerkschaftsredaktion teilten. Mr. George nahm mir gegenüber immer eine Schulmeisterrolle ein - und das durchaus zu Recht. Er hatte in mir das Talent für den Journalismus gewittert. Ich sah mich als blonden und blauäugigen Arbeiterjungen, der Fußball, Hintertreppenromane und Bergsteigen liebte. Kein Wunder, dass ich nach fast drei Jahren bei Arbeiderbladet immer noch eine Art Assistent für Mr. George war. Es half nichts, dass er sich alle Mühe gab, mich ins Licht zu rücken. Für die Leser gab es nur einen Menschen, der für die Kriminalberichte in Arbeiderbladet zuständig war, und das war Mr. George. Ich war nur angestellt, damit der Meister mehr Zeit zum Verfassen seiner virtuosen Artikel hatte.
    Er blieb in der Tür stehen und musterte mich mit ernstem Blick durch seine starke Hornbrille.
    »Der Faktor möchte mit dem Interview fertig werden, ehe er Feierabend macht. Ich richte aus, dass du es in einer halben Stunde bringst.«
    Diese halbe Stunde verbrachte ich vor allem mit der Frage, ob Brodin eigentlich etwas gesagt hatte, das nichts mit Birger Bay zu tun hatte. Am Ende sog ich mir ein paar Gemeinplätze aus den Fingern und lief hoch zur Setzerei. Der Faktor wirkte enttäuscht von meiner Leistung. So enttäuscht, wie die Tabakhändler sein würden, wenn am Nachmittag des nächsten Tages der Bote von Arbeiderbladet käme. Der Vertriebschef sagte, die fragten immer, ob es in der Zeitung des Tages etwas von Mr. George gäbe. Leider nein. Morgen würden sie sich mit dem üblichen nichtssagenden Gefasel seines namenlosen Lehrlings zufriedengeben müssen.
     
    Zu allem Überfluss kam ich auch verspätet zu Lennarts Heimkehrfest. Es war schon nach neun, als ich über einen der Kiesgänge auf die riesige Halle ganz hinten im Tivolipark zulief. Der Tanzpalast Rode Molle würde bald abgerissen werden, zusammen mit den anderen beliebten Vergnügungsstätten, die dem neuen Rathaus weichen müssten. Sie sollten »auf dem Altar des Fortschritts« geopfert werden, wie die bürgerliche Presse schrieb. Der war es natürlich wichtiger, dass die Geldsäcke sich amüsieren könnten, als dass die Arbeitsplätze erhalten blieben, die wir diesem Bauprojekt in Piperviken zu verdanken hatten. Aber ich muss zugeben, dass ich
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