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Der Spinnenmann

Der Spinnenmann

Titel: Der Spinnenmann
Autoren: Terje Emberland
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ein wunder Punkt. »Ich möchte es im Sommer am Ovre Sydstup versuchen, wenn ich noch andere finde. Es wäre Wahnsinn, da allein zu klettern.«
    Arntsen hatte offenbar von Straken ein Zeichen erhalten. Er stellte ein mit einer Serviette bedecktes Tablett auf den Tisch. »Die Geschäfte laufen hervorragend, wie ich sehe. Da ist wohl eine Erfrischung angesagt?«
    Ehe ich protestieren konnte, zog Straken ein Schnapsglas unter der Serviette hervor und leerte es auf einen Zug. Widerwillig packte ich meine Bergsteigerschuhe ein und schaute Arntsen verärgert an.
    »Ich dachte, du hast kein Schankrecht für Schnaps, Jens?«
    »Ach, das geht schon gut, solange niemand zwitschert.« Arntsen sah Straken vielsagend an. Dann wandte er sich mir zu. »Fünf Kronen bitte!«
    Ich zog einen Zehner hervor. Arntsen legte den Geldschein auf den Tisch, während er in seiner Jackentasche nach Wechselgeld suchte. Es war nicht gerade die Stärke des guten Jens, mit der Zeit zu gehen. Er hatte es so nachhaltig versäumt, sein Restaurant renovieren zu lassen, dass noch immer vergilbte Fotografien von König Oscar und anderen Größen aus der Zeit der Union mit Schweden die verschossene Tapete schmückten. Eine Kasse hatte er auch nicht. Arntsen bewahrte den täglichen Umsatz immer in den Taschen seiner Alpakajacke auf.
    Während ich also bezahlte, leerte Straken in aller Eile auch das zweite Schnapsglas. Ich wollte ihn gerade zur Rede stellen, als ich zufällig aus dem Fenster schaute.
    Dort schritt der Spinnenmann durch die Schar der Schnapshändler und Hehler, groß und blond im schwarzen Anzug. Ich sah sofort, dass er einer anderen Welt angehörte. Es war so, als wäre in einem Goldfischteich ein Weißer Hai aufgetaucht.
    Mir lief es eiskalt den Rücken hinunter.
    »Dreh dich um und sieh dir das an, Straken. Da geht ein kalter Teufel, das kannst du ihm ansehen.«
    Der Mann überquerte die Brogate, ging weiter über den Lilletorg und kam im Abstand von wenigen Metern an Arntsens Lokal vorbei.
    »Ist das der Ausländer, den du erwähnt hast?«, mutmaßte ich.
    Staken dachte lange und ausgiebig nach.
    »Ja«, sagte er endlich. »Ja, verflixt, das glaube ich wirklich!«
    Ich packte meinen Schuhkarton und stürzte aus der Tür. Der Nachrichtenhund in mir witterte eine Story und jagte instinktiv los. Ich musste mehr darüber wissen, was dieser unheimliche Mann in Vaterland zu suchen hatte. Und ich musste schneller laufen, um ihm näherzukommen. Er hatte bereits die Ecke Karl XH-gate und Rodfyllgate erreicht.
    Ich lief im Zickzack durch die Menge. Plötzlich hörte ich, dass jemand mich rief.
    Ich blieb sofort stehen und schaute mich um. Ich sah kein bekanntes Gesicht, niemand in der Menge schien auf mich zuzukommen. Es musste Einbildung gewesen sein.
    Abermals nahm ich die Beine in die Hand. Der Spinnenmann war verschwunden. Sicher war er die Rodfyllgate hinabgegangen.
    Aber als ich um die Ecke bog, war er nicht zu sehen. Stattdessen zog etwas anderes meine Aufmerksamkeit auf sich. Auf der anderen Seite der Kreuzung mit der Vognmannsgate stand ein schwarzer Chrysler am Bordstein. Ein junger Mann lehnte daran und rauchte eine Zigarette.
    Dieser Mann war Lennart Winther.
     
    Sofort hatte ich den Spinnenmann vergessen. Ich war so überwältigt von Wiedersehensfreude, dass es mir die Sprache verschlug. Dann rief ich durch den Verkehrslärm: »Du bist das doch, Lennart, ja? Bist du wieder nach Hause gezogen?«
    Zuerst glaubte ich, er habe mich nicht gehört. Aber seine Haltung sagte mir etwas anderes. Es machte ihm große Mühe, lässig zu wirken, während er demonstrativ nach vorn schaute.
    Wenn er mich demütigen wollte, dann war ihm das gelungen. Jugendfreund oder nicht. Seit Lennart Winther nach Berlin gegangen war, um an deutschen Filmen mitzuwirken, war er offenbar vornehm geworden. Und ich war wohl nur eine unangenehme Erinnerung an seine proletarische Vergangenheit.
    Ich machte ihm die Sache aber nicht so leicht. »Siehst du nicht, dass ich es bin, Lennart?«
    Doch er trieb sein Schauspiel weiter. Als ich einige Schritte auf die Kreuzung zuging, warf er seine Zigarette weg und setzte sich hinter das Lenkrad. Er schien wegfahren zu wollen, ohne mich auch nur eines einzigen Blickes gewürdigt zu haben.
    »Lennart!«, rief ich verzweifelt. »So kannst du einen alten Freund doch nicht behandeln!«
    Er ließ den Motor an. Gleich darauf kam der Spinnenmann aus einer Gasse auf der linken Seite gerannt und ließ sich auf den Beifahrersitz fallen.
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