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Der Spiegel von Feuer und Eis

Der Spiegel von Feuer und Eis

Titel: Der Spiegel von Feuer und Eis
Autoren: Morrin Alex
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verschmolzen. »Mit wem hast du geredet, Feuerbrut?« Ein Tritt entlockte dem Gefangenen ein pfeifendes Stöhnen. »Wenn sie dich befragen, kriegst du die Zähne nicht auseinander, aber jetzt führst du Selbstgespräche, wie?« Ein weiterer Tritt, das Knacken von Knochen. Ein schwaches Röcheln, auf das nichts als Stille folgte. Blut tropfte auf das Eis. Der Centaure wich zurück, fluchte – und bemerkte die Bewegung hinter sich erst, als es bereits zu spät war. Kalt streifte etwas seine Flanke und er fuhr herum. »Ihr?« Ein Zittern durchrann seinen massigen Körper, unvermittelt knickten seine Beine ein. Mit einem dumpfen Krachen schlug er auf den Boden. Seine Hufe traten noch einmal zuckend ins Leere. Einen Moment später fegte ein Windstoß das Häufchen Eiskristalle davon, das von ihm übrig geblieben war.
    »Ja, ich!« Der Schatten blickte auf den toten Gefangenen. »Eis und Feuer auf deinem Weg in die Zweite Welt mit dir, Minotaure.«

    Selbst tief unter dem Palast der Eiskönigin war es nicht vollkommen dunkel. Die glatten Wände ihres Gefängnisses glänzten schwach, sodass Cassim zumindest Schatten und Umrisse erkennen konnte. Sie zog Arme und Beine in der Kälte noch enger an sich. Die eisernen Fesseln, die man um ihre Handgelenke geschlossen hatte, bissen bei jeder Bewegung kalt in ihre Haut.
    Die Männer hatten sie durch ein Labyrinth von Gängen geschleppt, unzählige Stufen hinunter und schließlich in diese Zelle gestoßen. Krachend war das Gitter hinter ihr zugeworfen worden und das Kreischen des Schlüssels in seinem Schloss hatte wie schrilles Gelächter geklungen. Seitdem war sie allein.

    Zu Anfang hatte sie gebettelt und geschrien und immer wieder beteuert, dass sie wirklich nicht wusste, wie sie tun sollte, was die Königin von ihr verlangte. Ihre Stimme hatte gespenstisch durch die verlassenen Gänge gehallt und ihr als höhnisches Echo geantwortet. Irgendwann hatte sie aufgegeben und sich auf dem Boden zusammengekauert, frierend, hungrig und verzweifelt. Sie klammerte sich an den Gedanken, dass die Eiskönigin sie nicht für immer hier unten lassen würde. Dennoch gefroren immer wieder Tränen auf ihren Wangen, wenn die Angst ihr jede Hoffnung raubte. Cassim vergrub das Gesicht in den Armen. Ach, Mama, warum hast du mir nie erzählt, was es mit dem alten Amulett auf sich hat? Oder hättest du es mir gesagt, nachdem es mir gelungen war, den Stein zu heilen, wenn das Feuer dich nicht zuvor getötet hätte? Das Auge des Feuers. Teil eines mächtigen Zauberspiegels. Bestimmt hast du selbst nichts davon gewusst. – Ich habe Angst, Mama! Entsetzliche Angst. Wie soll ich nur tun, was sie von mir verlangt, wenn ich nicht einmal weiß, wie ich es geschafft habe, das Amulett zu heilen. Mit einem leisen Schluchzen verfluchte sie ihre Gabe, die mit ihrem ersten Mondblut erwacht war. Von diesem Augenblick an hörte sie das Wispern und Raunen, wann immer sie einen Edelstein in die Hand nahm. Zuerst war es beängstigend und verwirrend gewesen. Doch dann lehrte Mama sie, das Flüstern der Steine nur dann in ihre Sinne zu lassen, wenn sie es so wollte. Seitdem gab es keinen Edelstein mehr, dessen Risse, Sprünge, gebrochene Kanten und abgeschlagene Ecken sie nicht heilen konnte. Keinen – außer dem Auge des Feuers. Immer wieder versuchte sie es, doch schließlich kamen Mama und sie zu dem Schluss, dass es auch Cassim – wie ihrer Mutter und deren Mutter und deren Mutter und all den anderen Frauen ihrer Familie vor ihr – nicht vergönnt war, das Juwel zu heilen. Und dennoch, manchmal glaubte sie zu spüren, wie es von einem Augenblick auf den anderen heiß oder kalt wurde. Aber wenn sie es dann hastig unter ihrem Kleid hervorholte, wo sie es an
einer schlichten Kette trug, sah es aus wie immer und fühlte sich an wie jeder andere Edelstein.
    Bis zu jenem Tag, als das Feuer im Zunfthaus ausgebrochen war und Mama und Papa in den Flammen umgekommen waren. Sie saß in der Werkstatt, allein mit ihrem Schmerz und ihrer Trauer, die Hände um das Amulett geklammert, und weinte. Und dann begann das Juwel zu singen. Es war nicht das übliche Wispern und Flüstern, wie sie es von Edelsteinen kannte, wenn sie ihr von sich erzählten. Das Auge des Feuers sang zu ihr. So klar und schön, dass ihre Tränen versiegten. Es sang von Liebe und Leid, Feuer und Eis, dem ewigen Gleichgewicht von Werden und Vergehen.
    Lange Zeit starrte sie auf das Juwel in ihren Händen, das nass von Tränen und Blut war – Blut, weil sie
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