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Der Spiegel von Feuer und Eis

Der Spiegel von Feuer und Eis

Titel: Der Spiegel von Feuer und Eis
Autoren: Morrin Alex
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gemieden wurden, war ihre Spur viel zu leicht zu finden.
    Darauf bedacht, nicht auf einer unter dem Schnee verborgenen Eisfläche auszurutschen oder in eine der Wehen zu treten, die sich unter dem beißenden Wind an den Hauswänden entlang auftürmten und sich zuweilen über die ganze Breite der Gasse erstreckten, rannte sie los. Sie war noch nicht weit gekommen, als irgendwo hinter ihr ein Kläffen erscholl, das sich zu einem langsam anschwellenden, dunklen Heulen steigerte. Ein Stück vor ihr erklang die geisterhafte Antwort. Cassim hielt inne. Eishunde waren eine jener nächtlichen Gefahren, deretwegen man die engen Gassen hinter den Häusern mied. Doch ihr Gebell klang anders. Angestrengt blickte sie die Gasse vor sich entlang. Ein eisiger Wind hatte sich zwischen die Mauern verirrt, der dichtes Schneetreiben mit sich trug. Die Flocken wirbelten so stark, dass man kaum noch die Hand vor Augen sehen konnte. Abermals erklang das Heulen, näher diesmal. Auch die Antwort schien Cassim lauter als zuvor. Das waren keine Eishunde. Sie schluckte mühsam, versuchte, etwas durch
das Schneegestöber zu erkennen. Konnten das Firnwölfe sein? Die Bestien der Eiskönigin zeigten sich nur sehr selten in dieser Gegend. In die Stadt waren sie noch nie vorgedrungen. Und die Geschichten, dass die mannsgroßen Wolfsungeheuer aus dichtem Schneefall heraus entstehen konnten, hatte sie immer nur für Schauermärchen gehalten. Für einen Wimpernschlag glaubte sie, eine Bewegung vor sich in dem Schneetreiben zu sehen. Unwillkürlich wich sie zurück. Der Schnee verschluckte das Mondlicht. Alles, was sie erkennen konnte, war ein vager Schatten. Cassim warf sich herum und rannte – und wurde im gleichen Augenblick gepackt. Kein Firnwolf! Ein Mensch! Mehr begriffen ihre panischen Sinne nicht. Sie schrie, schlug um sich, strampelte. Eine Hand traf sie im Gesicht. Ein Mann! Nur Dunkelheit vor der Dunkelheit. Aber ihr Vater hatte ihr gezeigt, wie sie sich gegen einen Mann wehren konnte. Ihre abrupte Bewegung wurde mit einem Jaulen belohnt. Als der Griff sich lockerte, versuchte Cassim, sich loszureißen. Etwas kollidierte mit ihrer Schläfe und Eis und Schwärze begruben ihre Sinne.

    » Das ist sie?« Die samtige Stimme einer Frau, begleitet vom Rascheln kostbarer weißer Pelze.
    »Ja!« Das Wort kam aus den Schatten bei einem fast deckenhohen Fenster.
    »Das ist kaum mehr als ein halbwüchsiges Gör! Und sie soll schaffen, was noch keine vor ihr geschafft hat? Bist du dir sicher?«
    »Du wolltest diejenige, die das Auge des Feuers wieder zusammengefügt hat. Das ist sie! – Ich bin mir sicher!«
    »Vergiss nicht, mit wem du sprichst!« Ärger ließ die Stimme der Frau klirren.

    »Wie könnte ich das.« Ein Mann löste sich aus der Dunkelheit beim Fenster.
    »Wohin gehst du?«
    »Fort! Raus hier! Du weißt, wie sehr mich das alles hier anwidert!«
    »Habe ich dir erlaubt zu gehen?«
    »Brauche ich deine Erlaubnis denn?«
    »Du bleibst!«
    Schweigen, dann: »Ist das ein Befehl?«
    »Du warst so lange fort, mein Sohn …«
    »Ist das ein Befehl – Königin?«
    »Das ist es! Du wirst den Palast nicht verlassen, bis ich es dir gestatte!«
    Wieder Schweigen, dann: »Ich bin in meinen Gemächern. Wenn dir etwas am Wohl deiner Hofschranzen liegt, sollten sie mich besser nicht belästigen.«
    »Ich erwarte, dass du mit mir zu Abend isst.«
    »Ich werde keinen Hunger haben. Also lass nicht nach mir schicken.« Die Tür schloss sich mit einem deutlichen Laut. Zurück blieb ein Wirbel aus Eis und Kälte.

    Cassim öffnete die Augen in absoluter Stille. Da war kein schrilles Zetern, weil Agna, Karnans Frau, wieder mit der Nachbarin zankte. Karnan hämmerte nicht gegen die Tür ihrer kleinen Kammer unter dem Dach, weil sie endlich in die Werkstatt kommen und mit der Arbeit beginnen sollte. Sie schloss die Lider wieder und kuschelte sich tiefer unter die weichen Decken und Felle. Alles war nur ein böser Traum gewesen. Das Feuer im Zunfthaus. Mamas und Papas Tod. Karnan, der behauptete, Mamas Vetter zu sein, und der ihr das Amulett aus ineinander verschmolzenem eisklarem Firndiamanten und loderndem
Flammenrubin genommen hatte. Ihre Hand schob sich unter der Decke zu der Stelle, an der das vertraute Gewicht des Anhängers ruhen würde – und fand nichts.
    Abrupt setzte sie sich auf. Hinter ihrer Stirn erwachte reißender Schmerz und die Erinnerung kam zurück. Stöhnend barg sie den Kopf in den Händen, bis sie wieder in der Lage war, sich aufzurichten
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