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Der Spiegel von Feuer und Eis

Der Spiegel von Feuer und Eis

Titel: Der Spiegel von Feuer und Eis
Autoren: Morrin Alex
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brennendes Eis. Man sagte, er könne sich in einen riesigen Firnwolf verwandeln und streife zuweilen mit einem Rudel dieser Bestien, die ihm aufs Wort gehorchten, durch die Wälder auf der Jagd nach armen Wanderern. Seine Berührung war für einen Sterblichen tödlich, brachte sie doch den fahlen Tod, eine Krankheit, bei der der Körper bei lebendigem Leibe erfror, ganz gleich, wie sehr man auch versuchte, das Opfer zu wärmen. Wie kann es sein, dass ich hier stehe und lebe, wenn er mich gerettet hat? – Wovor hat er mich gerettet?
    Es war, als könne die Eiskönigin ihre Gedanken lesen. Ein kurzer Wink ihrer lilienweißen Hand und ihre Höflinge gaben den Blick auf etwas – jemanden – frei, der ganz in der Nähe des prächtigen Thrones auf dem Boden lag – angekettet. Dunkles rostbraunes Fell bedeckte breite Schultern, auf denen der Schädel eines Stieres saß. Reif glitzerte darin. Schwarzes Haar war in einer dunklen Lache auf dem Boden festgefroren. Als würde sie ihre Augen auf sich spüren, hob die Kreatur mühsam den Kopf. Cassim blickte in das Gesicht eines Mannes, den man früher sicherlich als gut aussehend bezeichnet hätte – bevor seine Züge so entsetzlich zugerichtet worden waren. Und bevor man ihm die gebogenen Stierhörner direkt über der Stirn abgebrochen hatte. Sein dunkelbrauner Blick senkte sich seltsam müde in ihren grünen. Cassim zuckte zurück. »Ja, Menschenmädchen, dieses Ungeheuer hat der Lord des Feuers geschickt, um dich zu ihm zu bringen. Nicht auszudenken, wenn es meinem Sohn nicht gelungen wäre, dich aus seinen Klauen zu befreien.«
    »Warum?« Auch wenn er mich entführen wollte: Warum habt Ihr ihm das angetan? Ihre Augen irrten zur Eiskönigin zurück.
    Deren schlanke Gestalt lehnte sich in die kostbaren weißen
Pelze, die ihren Thron bedeckten. »Warum? Weil du die Einzige bist, die den Spiegel wieder zusammensetzen kann. – Und das will der Lord des Feuers um jeden Preis verhindern.« Die Höflinge schlossen den Kreis wieder um Cassim.
    Den Spiegel? Welchen Spiegel? »Ich bin Edelsteinschneiderin, ich verstehe nichts von Spiegeln … Herrin.« Sie fügte das Wort hastig hinzu, ohne zu wissen, ob eine solche Anrede der Eiskönigin genügen würde.
    Das Lächeln kehrte auf die unmenschlich schönen Züge zurück.
    »Du bist nicht nur eine Edelsteinschneiderin, Menschenmädchen, du besitzt auch eine besondere Gabe. Eine Gabe, die bei dir äußerst stark ist. Immerhin hast du erst vor Kurzem etwas geschafft, was noch keinem vor dir gelungen ist. – Du hast das Auge des Feuers wieder zusammengefügt.«
    Das Auge des Feuers? »Ich verstehe nicht …« Ein Fingerschnippen der Eiskönigin ließ Cassim verstummen.
    »Ich meine das Amulett, das sich schon seit unzähligen Generationen in deiner Familie befindet und das stets von der Mutter an die Tochter weitergegeben wird. Ein Firndiamant und ein Flammenrubin, verschmolzen zu einem einzigen Edelstein. Er war gesprungen, aber du hast diesen Makel – wie sagt man bei euch Sterblichen? – geheilt. Der Stein ist Teil eines machtvollen Spiegels, der vor sehr langer Zeit vom Lord des Feuers zerstört wurde. Einem uralten Zauber zufolge kann nur diejenige diesen Spiegel wieder zusammensetzen, die auch in der Lage ist, das Auge des Feuers zu heilen.« Die Eiskönigin beugte sich vor. »Verstehst du jetzt, warum der Lord des Feuers dieses Ungeheuer geschickt hat, um dich in seine Gewalt zu bringen, Menschenmädchen?«
    Zögernd nickte Cassim. »Aber warum ist dieser Spiegel so wichtig? Weshalb will der Lord des Feuers nicht, dass er wieder zusammengesetzt wird?« Warum hat Mama mir niemals davon erzählt?

    Auf der Stirn der Eiskönigin erschien eine unwillige Falte. Ihre Hände zuckten auf der Thronlehne. Die Bewegung ließ ihre scharfen Fingernägel blitzen. »Weil der Spiegel, in der richtigen Weise zusammengefügt, die Sterblichen vor seiner Macht beschützt. – Natürlich will der Lord des Feuers das um jeden Preis verhindern. Und das Leben eines sterblichen Menschenmädchens ist für ihn ohne Wert.«
    Cassims Blick ging dorthin, wo der Gefangene angekettet lag. Die kostbaren Gewänder der Anwesenden versperrten ihr die Sicht. »Ich verstehe.« Nein! Ich verstehe überhaupt nicht! Der Lord des Feuers hat doch gar keine Macht. Du bist diejenige, in deren Händen alle Macht liegt; die alle fürchten. Es ist ja sogar bei Todesstrafe verboten, das Sommerfeuer zu entzünden und Seinen Tag zu feiern.
    Sie sah wieder die Eiskönigin an
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