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Der Spiegel von Feuer und Eis

Der Spiegel von Feuer und Eis

Titel: Der Spiegel von Feuer und Eis
Autoren: Morrin Alex
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letzten Blick auf die beiden weißen Bestien, deren gelbe Augen sie unverwandt beobachteten, dann schloss sie zu der Fremden auf.
    Eine schiere Ewigkeit ging es durch unzählige Gänge und Flure. Zu Anfang hatte sie noch versucht, sich zu merken, wann und wo sie nach rechts oder links abbogen und durch welche Türen sie gingen. Doch irgendwann hatte sie es aufgegeben.
Wozu auch? In dem Gemach, in dem sie aufgewacht war, gab es nichts, das ihr gehörte und zu dem sie hätte zurückkehren wollen.
    Die Korridore wurden immer breiter und prächtiger. Schlanke, gedrehte Eissäulen mit kunstvollen Kapitellen trugen die gewölbte Decke. Die schimmernden Wände waren mit fein gearbeiteten Reliefs geschmückt, in die blitzende Edelsteine eingesetzt waren. Staunend glitten ihre Augen über den kalten Prunk. Bisher hatte sie stets geglaubt, Eis hätte keine unterschiedlichen Farben. Doch was um sie herum glänzte, war klar und durchsichtig wie Quellwasser, trüb wie Nebel oder von eisig glitzerndem, hellem Azur.
    Zwischen den Säulen standen mächtige Feuerbecken aus kristallfunkelndem Eis aufgereiht. Blaue Flammen tanzten und zuckten in ihnen. Zierliche junge Frauen mit blassweißer Haut und weißen Haaren, die Cassim gerade bis zur Schulter reichten, hasteten von Zeit zu Zeit an ihnen vorbei, wagten aber kaum mehr als einen scheuen Blick. Zuweilen begegneten sie schlanken, hochgewachsenen Männern und Frauen, deren Züge ebenso fein waren wie die ihrer Führerin und deren Haut den gleichen, hellen Schimmer aufwies. Sie betrachteten Cassim mit unverhohlener Neugier, wobei sie in manchem Blick sogar so etwas wie Verachtung zu entdecken glaubte.
    Schließlich bogen sie um eine Ecke und standen vor einem riesigen zweiflügligen Portal. Es war über und über mit Diamanten bedeckt, die in allen Farben des Regenbogens erstrahlten. Cassim hatte kaum einen Blick für diese Pracht. Gebannt starrte sie auf die mit Spießen bewaffneten Gestalten, die zu beiden Seiten des Portals standen. Hellblondes Haar umrahmte ihre Züge. Ihre Oberkörper waren die kampferprobter Krieger, doch der Rest von ihnen gehörte zu mächtigen Hengsten, unter deren hellem Fell sich kraftvolle Muskeln abzeichneten. Centauren!
    Einer von ihnen stampfte hart mit dem Vorderhuf auf. Im
nächsten Moment schwangen die beiden Flügel des Portals auf und gaben den Blick auf einen gewaltigen Saal aus spiegelndem Eis frei. Wie auf ein geheimes Zeichen wandten die Anwesenden sich zu ihnen um, jeder Einzelne in prächtige Gewänder gekleidet.
    Cassim schluckte, als ihre Führerin sie vorwärtswinkte. Zögernd trat sie über die glitzernde Schwelle. Ein leises Raunen klang ihr entgegen. Zwischen einigen der hochgewachsenen Männer und Frauen standen weitere Centauren, die alle anderen um mindestens einen Kopf überragten. Eine große Raubkatze mit goldenem Fell bewegte sich lautlos durch die Menge, doch als Cassim genauer hinsah, entdeckte sie, dass das Tier Gesicht und Brust einer Frau hatte. Eine Gruppe von Männern – die im Vergleich zu allen anderen erstaunlich klein wirkten – unterbrach eine gemurmelte Unterhaltung und sah zu ihr her. Auf ihren Stirnen wuchsen die zierlichen Hörner von Ziegen, und aus ihren Kniehosen ragten Bocksbeine hervor, die in gespaltenen Hufen endeten.
    Und dann stand sie vor der Eiskönigin selbst. Hatte sie geglaubt, ihre Führerin sei schön, so stellte die Herrin von Eis und Sturm alles in den Schatten. Die Strähnen ihres Haares hatten die Farbe von glitzerndem Schnee und Elfenbein und bewegten sich unablässig, als würde die ganze Zeit ein Windhauch durch sie hindurchstreichen. Sie neigte ihre schlanke Gestalt leicht, wie um Cassim näher zu betrachten. Ihre bleiche Haut schimmerte wie Mondstein.
    »Willkommen in meinem Palast, Menschenmädchen.« Silberkalt hallten ihre Worte durch den Saal. Das Lächeln, das mit einem Mal ihre Lippen umspielte, war ein Zauber, der Cassim die fünf flachen Stufen zu ihrem Thron aus Eis und Silber emporlockte. In ihren hellen blauen Augen war die Wärme von Frost, als sie den Blick aufmerksam über sie gleiten ließ. »Wie ich sehe, hast du dich von dem Überfall erholt. Wir fürchteten schon, mein Sohn sei zu spät gekommen, um dich zu retten.«
    Cassim blinzelte. Überfall? Retten? Aber ich dachte … Der nächste Gedanke traf sie wie ein Blitzschlag und löschte jeden anderen aus. Ihr Sohn!? Der Eisprinz!? Ein Schaudern kroch ihr über den Rücken. War seine Mutter die Kälte, so war er
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