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Der Spiegel von Feuer und Eis

Der Spiegel von Feuer und Eis

Titel: Der Spiegel von Feuer und Eis
Autoren: Morrin Alex
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und umzusehen. Ihr stockte der Atem. Alles um sie herum war Eis. Alles außer den seidenen Kissen und den herrlich weichen weißen Fellen, zwischen denen sie lag und die von einem ihr unbekannten Tier stammen mussten. Die Wände erhoben sich in glitzernder Pracht und wölbten sich zu einer Kuppel, in der ein Kronleuchter aus spiegelnden Eiskristallen glänzte. Eine seltsam blaue Flamme tanzte darin, die das Eis unerklärlicherweise nicht zum Schmelzen brachte. Ein hohes Fenster ließ das Morgenlicht herein, sperrte aber wie durch Zauberei die weißen Flocken aus, die sich vor ihm tummelten. Ein Tisch und ein Stuhl aus nebeltrübem Eis standen darunter. Füße, Beine und Lehnen waren mit kunstvollen Schnitzereien verziert. Neben ihrem Bett war ein zweiter, kleinerer Tisch und darauf … Noch nie hatte sie so etwas Schönes gesehen. Unwillkürlich streckte sie die Hand danach aus – und berührte beißende Kälte. Ein vollkommen durchsichtiger Eisblock umschloss eine Blume, deren Blütenblätter wie Samt schimmerten und die tiefe Farbe von Rubinen hatten. Ein einzelnes hatte sich gelöst und war herabgefallen. Es glänzte wie ein dunkler Blutstropfen, auf halber Höhe vom Eis gefangen. Cassim erhob sich auf die Knie und ließ die Fingerspitzen über die glatte Oberfläche gleiten. Sie kannte Blumen nur von den Zeichnungen in den Büchern ihres Vaters oder von den kunstvollen Edelsteingebilden, die ihre Mutter geschaffen hatte. Und ausgerechnet hier – inmitten all des Eises – eine echte zu sehen, erschien ihr wie ein kleines Wunder.
    Das Klappern ihrer eigenen Zähne riss sie schließlich aus ihrem
Staunen. Zitternd zog sie die herrlich weichen Felle um sich und blickte sich in der Hoffnung um, ihre Kleider irgendwo zu entdecken. Vergeblich. Doch über dem Stuhl beim Fenster lag etwas, das aussah wie Hose und Hemd. Daneben stand ein Paar Stiefel.
    Der Boden erwies sich als kälter, als sie für möglich gehalten hatte. Auf bloßen Füßen rannte sie hinüber, riss Kleidungsstücke und Stiefel an sich und flüchtete zurück aufs Bett, wo sie sich hastig anzog. Das Hemd war wie die Hose aus weichem hellen Leder, innen warm gefüttert und hatte eine angesetzte Kapuze. Wunderschöne Stickereien verzierten die Säume an Hals und Handgelenken. Sie schlüpfte in die Stiefel. Auch sie waren mit weichem Fell ausgestattet und passten erstaunlich gut. Ein geflochtener Ledergürtel, dessen Schnalle die Form eines Froststerns hatte, schmiegte das Hemd weich um ihre Mitte. Staunend strich Cassim über die Kleidungsstücke. Noch nicht einmal den Speicherherrn hatte sie jemals in so herrlichen Gewändern gesehen. Dabei konnte er sich die kostbarsten Felle und Stoffe leisten, war er doch derjenige, von dem jeder das Korn kaufen musste. Korn, das weit aus dem Süden stammte und das beinah das Dreifache seines Gewichtes in Gold wert war.
    Warum gibt man mir solche Kleider? Wo bin ich hier? Wer hat mich hierhergebracht? – Und vor allem: weshalb? Die Stirn in leichte Falten gelegt, schob sie die Hände unter die Achseln und sah sich erneut um. Kein Gebäude, das sie kannte, hatte so hohe Räume – und keines war aus purem Eis. Scharf sog sie den Atem ein. War dies das Haus des Fremden, der sie hatte kaufen wollen? Hatte der Mann in der Gasse zu ihm gehört? Ihr Hals wurde eng. War sie jetzt irgendjemandes Besitz? Noch einmal blickte sie sich um. Dem Fenster gegenüber befand sich eine Tür. Nur der Umstand, dass auch sie mit Schnitzereien verziert war, unterschied sie von den glitzernden Wänden. Als sie genauer hinsah, entdeckte Cassim
auch einen silbrig schimmernden Türgriff. Unsicher zog sie die Schultern hoch. Vielleicht würde ein Blick nach draußen ihr ja offenbaren, wo sie sich befand? Zögernd ging sie zum Fenster. Ihr Atem ließ die unsichtbare Fläche beschlagen. Einen Moment blinzelte sie verblüfft, dann wischte sie sie mit dem Ärmel wieder klar und spähte hinaus. Nach einem Moment seufzte sie leise. Dort draußen war nichts als gleißendes, endloses Weiß, das sich in Schnee und Nebel verlor. Man hätte meinen können, am Rand der Welt zu stehen. Cassim drehte sich um und schaute zur Tür. Offenbar war dies der einzige Weg, um herauszufinden, wo sie war. Sie holte noch einmal tief Luft, dann marschierte sie entschlossen darauf zu. Der silbrige Türgriff war mit Reif überzogen und so kalt, dass Cassim ihn rasch wieder losließ. Als sie einen Moment später erneut nach ihm griff, hatte sie den Ärmel des Hemdes bis
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