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Der Spiegel von Feuer und Eis

Der Spiegel von Feuer und Eis

Titel: Der Spiegel von Feuer und Eis
Autoren: Morrin Alex
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zwang sie weiterzulaufen.
    In ängstlicher Hast hatte er sie durch dunkle Gänge und steile Treppen in die Tiefen unter dem Palast der Eiskönigin geschleppt. Unter seinen Händen hatten sich mit einem leisen Murmeln enge Spalten im Eis aufgetan, die sich hinter ihnen sofort wieder schlossen. Sie stiegen Stufen hinunter, die sich vor ihren Augen an den fast senkrecht abfallenden Schachtwänden bildeten, bis aus dem Eis schwarzer Fels geworden war. Hier hatte er ihr einen kurzen Moment Ruhe gegönnt, ehe er sie in einen lichtlosen Stollen führte, der ins Nichts zu ragen schien. Ein unheimliches Donnern tief unter ihnen hatte jedes Wort verschlungen. Irgendwann erreichten sie den Boden einer gigantischen Höhle, durch die sich tosend ein mächtiger Fluss wälzte. Eisschollen trieben auf seiner Oberfläche, schoben sich krachend übereinander und zerschellten an Felsen. Ein schmaler Vorsprung wand sich knapp über den schäumenden Fluten entlang und endete in einem mächtigen Felsmaul, aus dem sich der Fluss in ein Bett aus Eis ergoss. Dies war ihr Weg zurück an die Oberfläche. Seit sie die Höhle verlassen hatten, rannten sie um ihr Leben, das unüberwindliche Band aus Wasser und Eis in kaum zwanzig Schritt Entfernung zu ihrer Rechten.

    Das Heulen eines Wolfes erklang, ein anderer antwortete, dann noch einer und noch einer. Erschrocken wollte Cassim sich beim Laufen halb umdrehen. Ihre erschöpften Beine strauchelten, sie stolperte und stürzte auf Hände und Knie.
    »Schnell, Menschenmädchen, schnell. Das ist der Eisprinz. Er ruft seine Meute. Wir müssen den Wald erreichen, bevor sie unsere Spuren gefunden haben.« Jornas zerrte sie auf die Füße und vorwärts. Sie mühte sich, mit ihm Schritt zu halten. Der Wald war eine dunkle Silhouette jenseits einer Ebene aus weiß gleißendem Schnee, über die sie hetzten. Er schien unendlich weit entfernt. Das Heulen erscholl erneut. Diesmal glaubte Cassim, etwas wie Triumph darin zu hören. Sie versuchte, schneller zu laufen, stürzte immer öfter. Jornas riss sie mit jedem Mal unsanfter in die Höhe. Hätte sie noch Kraft zum Sprechen gehabt, hätte sie ihn angefleht, sie einfach zurückzulassen.
    Über ihnen schoben sich bleiche Wolken vor die Sonne und verwandelten das Licht in fahles Dämmern. Ein eisiger Wind fegte über sie hinweg, in seinem Gefolge dicht wirbelnde Schneeflocken, die ihnen die Sicht nahmen. Abermals erhob sich das Heulen, entsetzlich viel näher dieses Mal. Zu ihrer Linken erklang die Antwort. Als sie einen Blick zurück wagte, glaubte sie, die Schatten riesiger weißer Bestien zu sehen, die hinter ihnen über die Ebene jagten. Sie würden den Wald niemals rechtzeitig erreichen.
    Der Mann stand so plötzlich vor ihnen, dass man hätte meinen können, er sei aus dem Schneetreiben erstanden. Um ein Haar wären sie in ihn hineingelaufen.
    »Da lang, Faun! Der Fluss ist unsere einzige Chance, ihnen zu entkommen.« Entschieden wies der Fremde zum Wasser hin.
    Einen Augenblick fehlte Jornas scheinbar die Luft zum Widersprechen. Er konnte es auch nicht verhindern, dass der Mann Cassim, ohne zu zögern, am Arm packte und sie vorwärtszog.
Wer auch immer er war – sie hatte nicht die Kraft, sich gegen seinen Griff zu sträuben.
    Eis bedeckte die Ränder des Flusses, brach zuweilen krachend, wenn eine vorbeitreibende Scholle gegen es prallte, und trieb dann in der mörderischen Strömung davon. Keinen Schritt von den reißenden Wassermassen entfernt blieb der Fremde stehen, blickte wie suchend über den Fluss. Jornas keuchte neben ihr Unverständliches. Es klang, als verfluche er den Mann dafür, dass er sie in diese Falle geführt hatte. Hinter ihnen heulten die Firnwölfe scheinbar in wildem Triumph.
    Plötzlich schloss sich die Hand fester um ihren Arm.
    »Wenn ich sage ›Spring!‹, dann springst du!« Die Worte erreichten Cassim wie durch immer dichter werdenden Nebel. Beinah hätte sie das »Spring!« nicht gehört. Sie wurde vorwärtsgerissen, glitt aus und landete im nächsten Herzschlag bäuchlings auf Eis, das beängstigend trudelte und wankte. Ein dumpfer Aufprall, die Kälte unter ihr neigte sich, sie spürte, wie sie rutschte, schrie erschrocken, Wasser schwappte über ihre Beine, riss sie mit sich. Verzweifelt krallte sie sich im Eis fest, ohne Halt zu finden. Etwas schlug mit grausamer Wucht gegen ihr Knie, ließ sie abermals aufschreien. Schmerz raubte ihr den Atem, die Welt um sie herum versank in zähem Grau. Sie merkte nur noch seltsam
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