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Der Spiegel von Feuer und Eis

Der Spiegel von Feuer und Eis

Titel: Der Spiegel von Feuer und Eis
Autoren: Morrin Alex
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hastig neben ihr auf den Boden.
    »Mein Name ist Jornas. Ich werde Euch hier herausholen.« Er fummelte fluchend und brummelnd an ihren Fesseln herum. Endlich schnappte das erste Eisenband auf, kurz darauf das zweite.
    »Könnt Ihr aufstehen, Menschenmädchen? Schnell, schnell! Wir müssen uns beeilen, ehe das Eis ihr etwas verrät.« Ohne eine Antwort abzuwarten, packte er Cassim bei den Händen und zog sie in die Höhe. Brennend und kribbelnd begann das Blut jäh wieder durch ihre eisigen Glieder zu fließen. Sie biss die Zähne zusammen. Hätte Jornas sich nicht hastig ihren Arm
um die Schultern gelegt und sie gestützt, hätten ihre Beine unter ihr nachgegeben. Er drängte sie zur Gittertür und auf den Gang hinaus. Der Beutel, den er über der Schulter trug, drückte unangenehm in ihre Seite. »Wo bringt Ihr mich hin?«
    »Ich kenne einen Weg aus dem Schloss.« Hastig warf er einen Blick über die Schulter, als fürchte er, belauscht zu werden. »Vertraut mir, Menschenmädchen! Vertraut mir! – Und beeilt Euch!« So schnell ihre vor Kälte bleiernen Glieder es zuließen, führte er sie den Gang entlang, tiefer unter den Palast der Eiskönigin.

    Die Hände der zierlichen Frostnymphe zitterten, als sie sie zum wiederholten Mal nach den Klinken der beiden Türflügel ausstreckte – und wieder sinken ließ. Sie konnte die Blicke der Firnwölfe in ihrem Rücken spüren. Der eine lag auf der weich gepolsterten Bank in der Fensternische zu ihrer Rechten, eine Pfote auf einem aufgeschlagenen Buch, der andere hatte sich auf den kostbaren Teppichen vor dem Bett aus Eis und Pelzen ausgestreckt und benagte einen riesigen Knochen. Ihre gelb glitzernden Augen und ihre zu einem Hechelgrinsen geöffneten Fänge schienen zu sagen: »Trau dich! Geh hinein! Stör ihn! Er wird dich mit Vergnügen in Frostfeuer verwandeln.«
    Sie blickte zu der Tür, durch die sie die Gemächer des Eisprinzen betreten hatte. Der Gedanke an Flucht erschien ihr äußerst verlockend. Aber sie hatte keine andere Wahl. Königin Lyjadis selbst hatte sie geschickt.
    Entschlossen klopfte sie an und öffnete die Türflügel. Warmer Wasserdampf schlug ihr entgegen, versengte ihre Haut und entlockte ihr ein gequältes Stöhnen.
    Unzählige Kerzen brannten auf dem Boden und auf Vorsprüngen. Ihr Licht verwandelte die Eiswände in spiegelglänzendes
Gold und ließ die Stalaktiten, die von der Decke wuchsen, schimmern. Über der dunkel glitzernden Wasseroberfläche eines in den Boden eingelassenen Badebeckens trieben träge Dampfschwaden, die den ganzen Raum erfüllten. Nur zögernd wagte sie sich zwei Schritte weiter hinein. Ein leises Plätschern ließ sie zusammenzucken.
    »Du bist entweder ausgesprochen dumm oder ausgesprochen mutig. Oder aber dir liegt nichts an deinem Leben. Was davon ist es?«
    Halb verborgen in den fahlen Dunstnebeln bewegte sich eine Gestalt im Wasser. Wieder erklang das Plätschern. Der Wunsch, einfach davonzulaufen, wurde beinah übermächtig. Wie konnte er diese Hitze nur ertragen, ohne vor Schmerz zu schreien.
    »Die … Königin schickt mich, Eisprinz.«
    »Tatsächlich? Nun, dann scheint Ihr nichts an deinem Leben zu liegen. – Du hast Glück, dass mir im Augenblick nicht danach ist, mein Bad wegen Nichtigkeiten zu unterbrechen. Verschwinde!«
    Die Eisnymphe ballte ihre schmalen, vierfingrigen Hände. Die warmen Schwaden fühlten sich wie ätzendes Gift auf ihrer Haut an.
    »Ich … ich … Sie hat … Ich habe eine Nachricht für Euch.«
    »Sie interessiert mich nicht! – Geh, ehe ich es mir anders überlege und Frostfeuer aus dir mache.« Sie ahnte die Bewegung seiner Hand mehr, als sie sie sah. Dampfende Wassertropfen landeten direkt vor ihren bloßen Füßen, schmolzen das Eis des Bodenmosaiks und gefroren im nächsten Moment wieder mit ihm zusammen. Zitternd wich sie einen Schritt zurück.
    »Es geht um die Sterbliche, die Ihr der Königin gebracht habt.«
    »Dir liegt wahrhaftig nichts an deinem Leben.«

    »Sie ist aus dem Kerker geflohen.«
    Stille.
    Dann brach der Eisprinz in schallendes Gelächter aus.

    Cassim stolperte, stürzte, raffte sich wieder auf und rannte weiter. Schnee stob unter ihren Füßen auf, dicke Flocken trieben in ihre Augen und nahmen ihr die Sicht. Ihre Haut war rot vor Kälte. In ihren Lungen brannte die eisige Luft und machte jeden Atemzug zur Qual. Jornas’ scharf gebogene Fingernägel gruben sich in ihren Handrücken, als sie erneut ausrutschte und fiel. Erbarmungslos zog er sie hoch und
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