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Der Spiegel von Feuer und Eis

Der Spiegel von Feuer und Eis

Titel: Der Spiegel von Feuer und Eis
Autoren: Morrin Alex
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sich zum ersten Mal in ihrem Leben an einem Edelstein geschnitten hatte -, ohne begreifen zu können, was geschehen war. Sie wusste nicht, was sie getan hatte, oder wie. Doch die Sprünge und Risse, die das Auge des Feuers durchzogen hatten, waren ebenso verschwunden wie die Schatten, die sein Inneres getrübt hatten. Es glitzerte wie Eis und loderte zugleich wie Feuer. Schließlich war sein Gesang verstummt. Sie hatte ihn nie wieder gehört. – Und dann hatte Karnan es ihr fortgenommen.
    Cassim schniefte und ließ den Kopf gegen das Eis in ihrem Rücken sinken. Es nutzte ihr nichts, wenn sie sich an Erinnerungen klammerte und sich selbst leidtat. Sie musste eine Möglichkeit finden, wie sie aus diesem Schlamassel wieder herauskam. Mit bitterem Schnauben schloss sie die Augen. Schlamassel? Schuld an einem umgestürzten Kornsack zu sein und dabei erwischt zu werden, ehe man seine Spuren beseitigen kann, das ist ein Schlamassel. Hier geht es um nicht weniger als mein Leben. Sie blies in ihre rot gefrorenen Hände und ließ den Blick mutlos über die dunkel schimmernden Mauern ihrer Zelle gleiten.
    Fliehen konnte sie nicht. Dafür sorgten schon die eisernen
Ketten, die um ihre Handgelenke lagen und sie an die Wand fesselten. Aber wie sollte sie sonst hier herauskommen? Vermutlich würde die Eiskönigin sie erst aus ihrem Gefängnis holen lassen, wenn sie bereit war zu tun, was sie von ihr verlangte.
    Einen Spiegel heilen … Obendrein noch einen mächtigen Zauberspiegel. Cassim rieb sich übers Gesicht. Ihre Fesseln klirrten. Andererseits … Was ist ein Spiegel anderes als flacher, geschliffener Kristall. Edelsteine sind genau genommen auch nur Kristalle. Sie presste die Handballen gegen die in der Kälte brennenden Augen. Das ist Wahnsinn! Selbst wenn sie nicht merkt, dass ich lüge und gar nicht weiß, wie ich ihren Spiegel wieder zusammensetzen soll, was ist, wenn ich wirklich davor stehe? Spätestens dann wird sie es wissen. Und spätestens dann bringt sie mich um. – Wenn ich es nicht versuche, sterbe ich hier unten auf jeden Fall. Und vielleicht …
    Der Einfall war so verrückt, dass sie ihn im ersten Moment nicht zu Ende denken konnte. Sie stieß den Atem aus und beobachtete, wie er als weiße Wolken davontrieb. Vielleicht kann ich ja irgendwie entkommen. Dann schüttelte sie über sich selbst den Kopf. Die Kälte muss mir den Verstand geraubt haben. – Der Spiegel befindet sich bestimmt irgendwo im Palast. Sie ist die Eiskönigin. Wie sollte ich ihr entkommen können? Sie hetzt mir ihre Firnwolf-Bestien hinterher, die kurzen Prozess mit mir machen. Mit beiden Händen fuhr sie sich durchs Haar. Und vielleicht bleibt dieser Zauberspiegel ja besser zerbrochen? Wäre es nicht möglich, dass es noch größeres Unglück für Menschen und Tiere bedeutet, wenn er wieder zusammengefügt wird? – Ach Papa, du hast immer gesagt, dass selbst das größte Unglück auch immer irgendeinen Nutzen in sich birgt. Wenn du doch hier wärst und mir sagen könntest, was ich tun soll. Vielleicht sollte ich hoffen, dass die Eiskönigin mich hier unten einfach vergisst. Erfrieren soll ein bisschen wie einschlafen sein. Dann wären wir wieder zusammen. Ärgerlich presste sie die Lippen zusammen. Sie wird mich bestimmt nicht vergessen! Es
muss einen anderen Ausweg geben! Verdammt, Cassim, denk nach! Doch sosehr sie sich den Kopf zermarterte, es wollte ihr keiner einfallen.
    Als irgendwann Schritte vor ihrem Gefängnis erklangen, hob Cassim müde den Kopf und blinzelte zu der Gestalt hinter den Gittern. Es war keiner der hochgewachsenen, schönen Männer, sondern einer der kleineren mit den Ziegenhörnern, Bocksbeinen und Hufen. Doch seine Kleider wirkten bei Weitem nicht so elegant wie die der Höflinge, die sie im Thronsaal gesehen hatte.
    »Hat die Königin Euch geschickt, um mich zu holen?« Sie musste sich ein paar Mal räuspern, ehe die Worte verständlich aus ihrer schmerzenden Kehle kamen. Ihre Hände und Füße waren taub vor Kälte.
    »Scht! Still, Menschenmädchen, selbst das Eis hat Ohren. Ich bin hier, um Euch zu helfen.« Zu ihrem Erstaunen machte er sich hektisch an dem Schloss zu schaffen. Nur allmählich dämmerte ihr, was das bedeutete. Schwerfällig richtete sie sich ein bisschen mehr auf. Ihr Körper fühlte sich an, als sei er steif gefroren.
    »Wer … seid Ihr?«
    Das Schloss öffnete sich mit einem dumpfen Laut, was dem Mann ein befriedigtes Grunzen entlockte. Dann zog er die Gittertür auf und kniete sich
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