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Der Spiegel aus Bilbao

Der Spiegel aus Bilbao

Titel: Der Spiegel aus Bilbao
Autoren: Charlotte MacLeod
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Fingern wischte Sarah hastig die
Lippenstiftspuren von Max’ Kinn.
    »Wage es bloß nicht, dich
davonzuschleichen. Du mußt sie sowieso früher oder später kennenlernen.«
    »Wie lange will sie denn um
Himmels willen bleiben?«
    »Keine Ahnung. Höchstwahrscheinlich
nicht sehr lange. Sie wird sich hier bestimmt nicht besonders wohl fühlen, wo
das halbe Mobiliar in Boston ist und es außer dem Kaminfeuer keine
Heizmöglichkeit gibt. Du weißt ja, wie scheußlich ungemütlich es so nahe am
Wasser werden kann. Oje, ich hoffe wirklich, daß Mr. Lomax daran gedacht hat,
den Kamin fegen zu lassen. Ich habe keine Ahnung, was die High-Street-Bank mit
mir täte, wenn ich das Haus abbrennen ließe.«
    Um Sarahs Besitz wurde wegen
einer Hypothek, deren Gültigkeit noch nicht geklärt war, ein Rechtsstreit
geführt. Das große Haus selbst war nicht viel wert, es sei denn, ein
unternehmungslustiger Architekt hatte Lust, 100 000 Dollar aufzubringen und es
in ein Haus mit luxuriösen Eigentumswohnungen zu verwandeln. Aber mit dem gut 140
000 Quadratmeter großen Grundstück, auf dem es stand, konnte jeder
Bauunternehmer ein Vermögen machen. Bis die Angelegenheit geklärt war, blieb
ihr nichts anderes übrig, als die Steuern zu bezahlen und das Beste zu hoffen.
    Im Moment war Sarah sowieso nicht
in der Lage, verbindliche Zukunftspläne zu schmieden. Alles hing davon ab, wie
sich ihre Beziehung zu Max weiterentwickelte. Wenn er erst einmal den Sommer
mit ihren lieben Verwandten und alten Bekannten verbracht hatte, würde er die
ganze Sache vielleicht lieber abbrechen. Sie machte einen halbherzigen Versuch,
ihr langes, feines hellbraunes Haar in Ordnung zu bringen, und ging nach
draußen, um ihre Tante zu begrüßen.
    »Ist das nicht alles
wundervoll!«
    Tante Appie kletterte aus dem
Bahnhofstaxi und breitete überall fröhlich ihre Taschen und Koffer aus. »Als
Miffy mich angerufen hat, habe ich schnell alles zusammengepackt und bin auf
der Stelle hergesaust. Den Zug habe ich im letzten Moment gerade noch bekommen.
Und ich habe uns einen wunderbaren Thunfischauflauf gemacht, so daß wir uns um
das Abendessen keine Sorgen zu machen brauchen.«
    »Das war doch wirklich nicht
nötig«, protestierte Sarah, und sie meinte es wirklich. Sie kannte Tante Appies
Aufläufe besser, als ihr lieb war. »Cousine Theonia hat uns so viel Essen
eingepackt, daß es ewig reicht. Aber es ist natürlich sehr lieb, daß du dir die
Mühe gemacht hast«, fügte sie hinzu, denn es war sicher schrecklich umständlich
gewesen, die Auflaufform den ganzen Weg von Porter Square bis zur North
Station, nach Ireson’s End und dann schließlich bis hierher zu transportieren.
Wenn es dunkel geworden war, konnte sie die undefinierbare, fade Masse immer
noch heimlich für die Stinktiere und Waschbären nach draußen schütten. Denen
war es egal, was sie fraßen.
    »Aber Tante Appie, du kannst
doch die ganzen Sachen unmöglich alle allein tragen. So, ich nehme die
Auflaufform und deine Tasche. Max kümmert sich um die Koffer. Du erinnerst dich
doch sicher noch an Max Bittersohn, du hast ihn bei Dolphs und Marys
Hochzeitsempfang kennengelernt.«
    »Aber natürlich«, rief Appie,
die sich eindeutig nicht erinnerte, aber nicht im Traum daran dachte, es
zuzugeben, weil sie es nicht übers Herz brachte, die Gefühle anderer zu
verletzen. »Sind Sie ein Nachbar?«
    »Max ist ein Pensionsgast von
mir und außerdem ein sehr guter Freund«, antwortete Sarah an seiner Stelle. »Er
wohnt im Kutscherhaus.«
    Ihre Tante strahlte. »Ach, wie
nett! Dann haben wir einen Mann, der den Abfall zur Halde bringen kann. Ich
habe mir schon die ganze Zeit im Zug darüber Gedanken gemacht, wie wir das
alles allein schaffen sollen.«
    Mit äußerster Beherrschung
gelang es Sarah, nicht mit den Zähnen zu knirschen. »Tante Appie, du brauchst
hier überhaupt nichts ›zu schaffen‹. Du bist einzig und allein als Gast hier,
vergiß das bitte nicht! Du sollst hier keinen Schlag tun, sondern nur deine
Freunde besuchen und dich entspannen, und Max ist alles andere als ein
Gelegenheitsarbeiter, also schmiede bitte erst gar keine Pläne, daß er uns das
Haus streicht oder dir einen Kajak baut.«
    »Sarah, du hast aber auch die
merkwürdigsten Ideen. Was sollte ich denn bloß mit einem Kajak anfangen? Aber
was machen wir nun wirklich mit dem ganzen Abfall?«
    »Mr. Lomax kommt mit dem
Kleinlaster und holt ihn ab, genau wie sonst auch. Er kümmert sich auch um
Reparaturen, um das Grundstück und den
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