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Der Spiegel aus Bilbao

Der Spiegel aus Bilbao

Titel: Der Spiegel aus Bilbao
Autoren: Charlotte MacLeod
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Stück von einem halbvermoderten Vorhang zurück.
    »Geht das? Etwas anderes konnte
ich nicht finden.«
    »Hervorragend. Hältst du mir
mal die Eingangstür auf? Ich möchte den Spiegel nach draußen bringen und ihn
mir bei Licht ansehen, und ich will dabei auf keinen Fall den Aufsatz
zertrümmern.«
    »Diese kleine Gipsurne und die
vergoldeten Metallverzierungen sehen wirklich schrecklich zerbrechlich aus.«
    »Sie sehen nicht nur so aus.
Deshalb gibt es auch so wenige Spiegel aus Bilbao, die unbeschädigt geblieben
sind. Es würde mich allerdings nicht wundern, wenn dieser hier in tadellosem
Zustand wäre.«
    Bittersohn wickelte den muffig
riechenden Vorhang um den Rahmen und hob ihn vorsichtig an. »Verdammt, es geht
nicht. Kannst du mal nachsehen, wo der Draht festhängt? Aber berühre dabei
möglichst nicht den Rahmen, wenn es geht.«
    »Den Draht kann ich also ruhig
anfassen?«
    »Natürlich. Auf Bilderdraht
kann man keine Fingerabdrücke hinterlassen.«
    »Warte einen Moment, er ist um
den Haken in der Wand gewickelt. So, jetzt kannst du ihn abhängen. Der Draht
sieht nagelneu aus, Max.«
    »Wundert mich gar nicht. Wer
immer auch der Besitzer von diesem Ding ist — er hatte es bestimmt an der Wand
festgeschraubt. Siehst du die kleinen Blechschlaufen an den Seiten? Das ist
typisch für alle Spiegel aus dieser Zeit. Sie waren einfach so selten und
wertvoll, daß man sehr sorgsam mit ihnen umgehen mußte.«
    »Ich weiß. Man hat sogar
massive Holzplatten in die Wände eingelassen, um die Spiegel daran zu
befestigen, wenn der Verputz nicht sicher genug war. Tante Appie hat so etwas
in ihrem Haus in Cambridge.«
    »Ist das die Tante, deren Mann
gerade gestorben ist?«
    »Genau. Onkel Sam war schon
seit Jahren leidend, er hatte ständig irgendwelche Beschwerden. Cousine Mabel
sagt immer, woran er wirklich litt, war Tante Appie, aber was kann man von
Cousine Mabel auch anderes erwarten? Stammen die Löcher auf der Rückseite von
Holzwürmern?«
    »Si, Señora. Das ist ein Stück
Eichenholz, typisch spanisch und verteufelt schwer. Die Löcher haben zweifellos
echte spanische Eichenholzwürmer im 18. Jahrhundert geknabbert. Man konnte sie
immer daran erkennen, daß sie ›Olé‹ riefen, bevor sie ihre kleinen Fänge in das
Holz gruben. Aber es gibt bestimmt Leute, die versuchen würden, dir
weiszumachen, daß dein Spiegel in Wirklichkeit in Italien angefertigt wurde,
was blanker Unfug ist. Italienische Eichenholzwürmer hätten niemals einen
derartigen Schaden anrichten können. Sie hätten nur ›Pocco, pocco, lente,
lente‹ gesagt, was auf Italienisch soviel bedeutet wie: ›Ach, zum Teufel damit,
laßt uns lieber eine Pizza bestellen‹.«
    »Verschone mich mit deiner
Gelehrsamkeit«, sagte Sarah naserümpfend. »Max, es ist mir ehrlich gesagt
vollkommen egal, woher dieser Spiegel stammt. Ich möchte bloß wissen, wer ihn
in meine Diele geschafft hat.«
    »Glaubst du, daß einer deiner
reichen Verwandten klammheimlich hier hereingeschlichen ist, um dir eine kleine
Willkommensüberraschung zu bescheren?«
    »Von wegen! Nenn mir einen
Kelling, der eine wertvolle Antiquität unbewacht in einem Haus wie diesem
hängen läßt, und ich nenne dir sechs andere Kellings, die sofort versuchen, ihn
für gefährlich geisteskrank erklären zu lassen.«
    »Fällt dir denn jemand ein, der
einen Spiegel aus Bilbao besitzen könnte?«
    »Da gibt es bestimmt irgend
jemanden, wenn man bedenkt, wie viele Verwandte ich habe und wieviel Trödel sie
über Jahre hinweg angehäuft haben. Ich glaube, daß Tante Emma draußen in
Longmeadow so einen Spiegel besitzt, wenn ich mich recht erinnere, aber der
Marmor ist irgendwie gelber, und oben drauf befindet sich ein scheußlicher
Ziergiebel aus Walnußholz statt dieser hübschen Filigranarbeit.«
    »Wundert mich gar nicht. Das
hat man nämlich recht häufig getan. Wenn die Spitzen abbrachen, nahmen die
Besitzer als Ersatz oft irgendeine Scheußlichkeit, die gerade im Holzschuppen
herumlag. Aber selbst wenn er so verschandelt ist, kann man für einen echten
Spiegel aus Bilbao immer noch 5 000 Dollar und mehr bekommen. Weißt du was, Süßele? Ich glaube, wir sollten die Polizei rufen.«
    »Oh, Max!«
    Aber er hatte natürlich völlig
recht. Dieses wertvolle, zerbrechliche Kunstwerk war schließlich nicht von
selbst ins Haus gekommen, und außer Sarah und ihrem Hausverwalter Mr. Lomax
besaß keiner einen Schlüssel. Es hatte in diesem Winter in den Sommerhäusern,
die zum größten Teil
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