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Der Spiegel aus Bilbao

Der Spiegel aus Bilbao

Titel: Der Spiegel aus Bilbao
Autoren: Charlotte MacLeod
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der
gesellschaftlichen Ächtung von seiten des Yachtclubs gerechnet. Entweder war
Miffy zu alt, um angestammte Gewohnheiten abzulegen, oder der Umstand, daß
Sarah jetzt über das relativ kleine Erbe ihres Vaters verfügte, hatte sie
wieder für den Kreis der erlauchten Gesellschaft qualifiziert. Nun ja, damit
mußte sie eben leben.
    Irgendwer hatte einmal
behauptet, daß die echten »Bostoner Brahmanen«, die alteingesessenen
konservativen Familien, Sitten, aber keine Manieren hätten. Wie bei den meisten
Verallgemeinerungen basierte wohl auch diese Feststellung auf einigen unseligen
Einzelfällen. Einer dieser Fälle konnte sehr wohl Miffy Tergoyne gewesen sein.
    »Sarah!« Ihr nasales Kreischen
war scharf genug, um die Telefonkabel zu durchschneiden. »Wer war dieser Mann?«
    »Max Bittersohn, mein Mieter«,
erklärte Sarah.
    »Mein Gott, tust du das jetzt
auch schon in Ireson’s Landing? Alice hat es mir zwar erzählt, aber ich konnte
es nicht glauben, nicht nach Alex. Hast du tatsächlich eine Affäre mit diesem
Mann?«
    »Wie nett, daß du dich so um
mich sorgst«, erwiderte Sarah mit zuckersüßer Stimme.
    »Soll ich das etwa als Antwort
verstehen?«
    »Warum denkst du, daß es dich
überhaupt etwas angeht?«
    Miffy war sprachlos, allerdings
nur einen Augenblick lang. Dann räusperte sie sich und meinte mißbilligend:
»Ich muß schon sagen, du hast dich wirklich sehr verändert.«
    »Nein, das habe ich nicht. Das
ist nur das erste Mal, daß du mir überhaupt richtig zuhörst, wenn ich etwas
sage, das ist alles. Was verschafft mir übrigens die Ehre, Miffy?«
    »Ich erwarte dich und Appie
heute um halb sechs auf ein paar Drinks.«
    »Tut mir leid, aber Tante Appie
kommt erst am Montag.«
    Miffy stieß ein gackerndes
Lachen aus. »Das denkst du, Kindchen! Heute morgen habe ich Appie angerufen und
sie überredet, sofort loszufahren. Sie müßte jeden Moment in deiner
schrecklichen Auffahrt vorfahren.«
    »Miffy, wie konntest du das
tun! Ich bin noch nicht mal mit dem Haus fertig. Hast du es jemals in deinem
Leben geschafft, deine Nase nicht in anderer Leute Angelegenheiten zu stecken?«
    »Sei doch nicht albern. Warum
sollte ich? Halb sechs also, und seid pünktlich. Bring deinen Freund mit. Alice
und ich wollen ihn uns ansehen.«
    Max kam gerade rechtzeitig
herunter, um zu sehen, wie Sarah den Hörer auf die Gabel knallte.
    »Was ist denn los?«
    »Ach, überhaupt nichts«,
schäumte sie, »außer daß Tante Appie hier jede Sekunde auf der Matte stehen
wird, ohne mich auch nur vorzuwarnen, und Miffy uns Punkt fünf Uhr dreißig zu
Drinks erwartet. Dich übrigens auch.«
    »Verdammt, Sarah — ich dachte,
wir hätten hier endlich einmal ein paar Tage ganz für uns allein.«
    »Das habe ich auch gedacht,
aber das läßt Miffy völlig kalt.«
    »Hättest du ihr nicht einfach
sagen können, sie solle sich zum Teufel scheren?«
    »Habe ich ja, aber sie hat nicht
zugehört. Miffy ist es ja gar nicht, Max. Das wirkliche Problem ist Tante
Appie. Ich könnte nicht ertragen, wenn sie das Gefühl hätte, daß sie hier nicht
willkommen ist. Wenn du sie erst einmal kennengelernt hast, wirst du mich
verstehen. Tante Appie ist die ewige Pfadfinderin, jeden Tag eine gute Tat, und
meistens erntet sie dafür nur Undank.
    Du bist Onkel Samuel niemals
begegnet, und dafür kannst du wirklich dankbar sein. Er war der absolute
Hypochonder. Tante Appie hat an ihm sämtliche Krankheiten gepflegt, die es in
einem medizinischen Lehrbuch überhaupt gibt. Schließlich ist er an einem
Druckfehler gestorben, und ich glaube wirklich, sie trauert um ihn.
    Als Cousin Dolph ihr erzählt
hat, daß ich hier den Sommer verbringen wollte, und die brillante Idee hatte,
sie könne doch auch herkommen, weil sie einen Tapeten Wechsel brauche, hätte
ich sie am liebsten beide erschlagen, aber ich habe es nicht übers Herz
gebracht, ihr zu sagen, sie solle lieber zu Hause bleiben. Tante Appie hat sich
all die Jahre immer so viel Mühe gegeben, Alexander das Leben zu erleichtern,
als er nicht wegkonnte, weil er seine Mutter pflegen mußte.«
    Jetzt ging es schon wieder los.
Max sah stinkwütend aus, und sie konnte es ihm nicht einmal verdenken. Sarah
schlang ihre Arme um seinen Hals. »Irgendwie werde ich das alles
wiedergutmachen, das verspreche ich dir.«
    »Das sagst du bestimmt nur so«,
brummte er.
    Doch er ließ sich immer noch
bereitwillig von Sarah besänftigen, als sie das Bahnhofstaxi draußen über die
Schlaglöcher holpern hörten. Mit den
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