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Das Riff der roten Haie

Das Riff der roten Haie

Titel: Das Riff der roten Haie
Autoren: Heinz G. Konsalik
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    »Ich gehe«, sagte sie.
    »Und ich komme mit, Tama.«
    Sie sah ihn nur an. Es wurde ein langer Blick, den er nicht deuten konnte. In den dunklen, mandelförmigen Augen stand etwas, von dem er nicht wußte, was es war – Schmerz, Zorn oder beides zugleich.
    Ohne ein weiteres Wort drehte sie sich um.
    Sie nahm den Sandweg, der am Garten und am Haus ihrer Schwester vorbei zum Berg führte.
    Ron folgte.
    Der Wind zerrte an ihrem Kleid, und als sie höher kamen, ließ er Tamas dunkle Haare fliegen. Während der ganzen Zeit warf sie nicht einen einzigen Blick zurück, ging einfach voraus, bergan, mit dieser unglaublich fließenden Geschmeidigkeit, die ihn schon immer fasziniert hatte. Sie war ihm so fremd und entrückt wie nie.
    Am Hügeleinschnitt, wo mannshoher Farn wuchs, und der Regenwald begann und wo man bereits die Linien der Bucht erkennen konnte, waren zwei Götterköpfe in den Basalt gehauen. Im Grunde waren sie nicht viel mehr als dreieckige Formen, die gerade noch Nase, Kinn und Schädel erkennen ließen. Sand, den der Wind herantrug, und auch die Berührung ungezählter Hände hatten sie glattgeschliffen.
    Zur Zeit von Rons Ankunft auf Tonu'Ata hatten hier stets kunstvolle Geschenke gelegen, geflochten aus verschiedenen Pflanzen und geschmückt mit rotem Hibiskus und dem zarten Weiß und Gelb der Frangipaniblüten. Doch nach dem Tod Nomuka'tas, des Medizinmannes des Stammes, waren die Göttergaben verschwunden.
    Nun aber – nun leuchteten wieder Blumenornamente vor dem dunklen Lavagrund. Und sie waren mit Vogelfedern geschmückt!
    So, als sei der Alte zurückgekehrt, dachte Ron.
    Tamas braunrotes Kleid leuchtete schon unten zwischen den Farnen hindurch. Sie hatte den Hang über der Bucht erreicht. Sie wartete auf ihn und blickte ihm entgegen. Es war ein Blick wie zuvor – ein Blick wie eine Schranke.
    »Geh nicht weiter, Ovaku … You stay … Bleib hier.«
    Sie deutete auf den Stein, der unterhalb einer kleinen Felswand lag, und sprach weiter englisch: »Yes. Sit down, Ovaku.«
    Sit down, setz dich! – Es war eine Art Schock, der Schock des totalen Nichtbegreifens. Ron hatte die Unterlippe zwischen die Zähne gezogen, und als er darauf biß, spürte er es gar nicht. Zorn kroch in ihm hoch, Zorn gegen diesen ewigen, idiotischen Aberglauben, gegen die Ignoranz, die die Tatsachen nicht hinnehmen wollte, aber auch Zorn gegen sich selbst und die Ohnmacht, die er spürte.
    Du darfst nicht in die Bucht, Ovaku, you know … Nie mehr, Ovaku … Die Bucht ist tabu, Ovaku …
    Er hatte es hingenommen, zu lange wahrscheinlich. Er hatte sich gesagt: Laß sie, sie wissen es nicht bes ser. Sie haben nun mal ihre Geister, ihre Götter, ihre Dämonen, und die sagen ihnen, was tabu ist und was nicht. Zerbrich dir nicht den Kopf darüber, und wenn Tápana, ihr Chef, sagt: »Es ist so, Ovaku«, dann ist es auch so. Die Bucht ist tabu, Ovaku. – »Jawohl, Tápana.«
    Das ist die korrekte Antwort.
    Aber nun kam auch Tama mit diesem Unsinn, nun war es auch für sie selbstverständlich geworden. »You must understand, Ovaku …«
    You must understand. – Du mußt verstehen.
    Und da hatte er sich nun zwei Jahre hindurch abgemüht, ihr nicht nur Englisch beizubringen, sondern ihr auch eine andere Welt zu erschließen, in der es weder Gespenster noch Aberglauben gab. Er hatte daran geglaubt, es erreicht zu haben. Und trotzdem – nie war sie ihm so fremd gewesen, nicht einmal in den ersten Tagen, als sie zu ihm in die Hütte kam und die ganze Verständigung zwischen ihnen darin bestand, sich anzulächeln, anzufassen und Dinge in den Sand zu zeichnen, mit dem Finger darauf zu deuten und sie zu benennen.
    Hatte sie alles vergessen?
    ***
    You understand, Ovaku …
    Das Rauschen des Wassers, das dort unten gegen den schwarzen Fels schlug, schien ihm noch lauter und stärker zu werden. Es war, als dröhne es in seinem Kopf.
    »Du bist meine Frau, Tama«, hörte er sich sagen.»Und das war immer unsere Bucht. Deine und meine.«
    Sie gab keine Antwort. Ihre Augen schienen fast schwarz. Ein kühles, hartes Schwarz.
    »Gut!« Nun schrie er: »Die Bucht ist tabu! Für mich allein. Und wenn ich mich nicht daran halte? Was dann? Dann kommt irgendeiner und knallt mir seinen Knüppel aufs Hirn. Wirst du dann zuschauen? Schaffst du das, Tama?«
    »Nein.« Ihr Gesicht war glatt, ausdruckslos und ruhig. »Wenn du stirbst, Ovaku, sterbe ich auch. Du bist mein Mann.«
    »Na wunderbar. Großartig!« Es sollte ironisch klingen, vielleicht aber
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