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Der Spiegel aus Bilbao

Der Spiegel aus Bilbao

Titel: Der Spiegel aus Bilbao
Autoren: Charlotte MacLeod
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wollen; wer — wie
Sarah — ein großes Grundstück am Meer besitzt, lädt unfreiwillig zum Camping
ein: Kaum ist sie einen Tag in ihrem Haus, stellt sich ihr Vetter Lionel mit
seinen vier dicht nacheinander geborenen und nach den jeweils neuesten und
rasch wechselnden Methoden unerzogenen Söhnen ein, um ein paar Dollar
Campingplatzmiete zu sparen, obwohl er von seinem Vermögen leben kann. Daß
Charlotte MacLeod sich diese Konstellation nicht entgehen lassen wird, um ein
zwerchfellerschütterndes Durcheinander zu stiften, ahnt jeder, der Romane ihrer
»Balaclava«-Serie kennt. Lionels ebenso gutmeinende wie nervenstrapazierende
Mutter ist übrigens durch die ungebetene Intervention falscher Freunde schon
Stunden nach Sarah ins Haus eingezogen, so wie Sarah einst mit ihren Eltern bei
ihren späteren Schwiegereltern Ferientage verlebt hat.
    Im Sommer besteht die
Gesellschaft von Ireson Town aus drei verschiedenen Schichten: den Inhabern der
Sommerresidenzen und Yachten mitsamt ihren meist stammverwandten Gästen, deren
Mittelpunkt der Yachtclub bildet, der nach wie vor keine Juden und wohl auch
keine emporgekommenen Iren wie die Kennedys aufnehmen würde, sowie den
Ortsansässigen, die in dieser armen Gegend froh über die Verdienstmöglichkeiten
sind, die die Feudalherren und -damen aus der Bostoner Oberschicht bieten,
genauso wie die aus Boston für Sommerjobs anreisenden Studenten. Vertreter aus
allen Schichten kommen als Verdächtige für die Kunstdiebstähle und die damit
verbundenen Morde in Frage — Einheimische aber eher als Mittäter in
Komplizenschaft mit einem Angehörigen aus der Brahmanen- oder der
Studentenschicht, denn die Diebstähle sind die Taten eines exzellenten Kenners,
der es versteht, immer nur das Feinste und Teuerste mitgehen zu lassen, und das
sich protzig Anbietende verschmäht.
    Sarah und Max befinden sich
hier in einer eigentümlichen und ihre Beziehung belastenden Lage. Für Sarah ist
Ireson’s Landing seit ihrer Kindheit der Ort, wo sie sich in ihrem Leben am
wohlsten gefühlt hat, und Max ist in dieser Gegend aufgewachsen. Die
Einheimischen haben die jüdischen Zuwanderer des 20. Jahrhunderts längst
akzeptiert; Max’ Vater ist Arbeiter, sein Onkel Rechtsanwalt, sein Schwager
betreibt die Tankstelle in Ireson Town. In Sarahs Kreisen jedoch kommen zwei
Vorurteile massiv zusammen: Zum einen ist Dr. phil. Max Bittersohn für sie
Sarahs »Freund von der Tankstelle«, zum andern ist er Jude. Ihn als Ehemann
einer Kelling, die meist untereinander heirateten, um das Familienvermögen
zusammenzuhalten, zu sehen, erscheint so problematisch wie vor 100 Jahren im
märkischen Adel die Heirat der Tochter mit einem jüdischen Bankier. In Boston
wird noch Wert auf Familie und Abstammung gelegt: Als eine Firma in Chicago
einen Bostoner einstellen wollte und in Boston um Referenzen bat, sandte man
ihr eine Aufstellung seiner Vorfahren und wichtigsten Verwandten. Die Antwort
aus Chicago lautete: Eigentlich sollte er für uns arbeiten und nicht in der
Zucht eingesetzt werden.
    Dieses Denken in den Kategorien
von richtiger Herkunft und guter, d. h. weiß-angelsächsisch-protestantischer —
kurz »Wasp« genannter — Familie führt schließlich dazu, daß Max kurzerhand der
Kunstdiebstähle und der Morde verdächtigt wird. Ist er nicht ausgewiesener
Experte, kennt er nicht die Gegend, sind die Morde nicht unmittelbar nach
seinem Einzug ins Kellingsche Kutscherhaus passiert? Als man dort in einem
Geheimversteck unter der Treppe das Mordwerkzeug und eins der gestohlenen
Bilder findet, wird er verhaftet, und es bedarf des anwaltlichen Geschicks
seines Onkels Jake, um ihn gegen Kaution freizubekommen.
    Diesmal sind sich alle einig —
diese Ereignisse sind die Konsequenz aus Sarahs Verlassen der eigenen, ihr
allein angemessenen Sphäre. Ihr Clan und ihre Freunde denken so, aber Max’
Familie nicht minder: Was nicht zusammengehört, sollte getrennt bleiben — kaum
läßt sich Max mit einer WaspFreundin ein, landet er im Gefängnis. Sarahs Sicht
der Dinge aber wird erschüttert. Daß Max es nicht war, ist ihr natürlich klar —
aber wer ist für diesen absurden Versuch verantwortlich, ihm so massiv
raffinierte Diebstähle und brutale Morde in die Schuhe zu schieben?
    Man begegnet immer noch der
Meinung, der klassische Detektivroman beruhe auf einer exakten Scheidung von
»gut« und »böse«, und wenn der Täter entlarvt sei, sei die Welt wieder heil und
in Ordnung. In Charlotte MacLeods
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