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Der Sommer, in dem meine Mutter zum Mond fliegen wollte - Roman

Der Sommer, in dem meine Mutter zum Mond fliegen wollte - Roman

Titel: Der Sommer, in dem meine Mutter zum Mond fliegen wollte - Roman
Autoren: btb Verlag: Verlagsgruppe Random House GmbH
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genug war für eine Schreibmaschine, hob sie vorsichtig heraus und stellte sie auf den Tisch vor dem Fenster. Dann blieb ich sitzen und betrachtete dieses Wunder, eine Remington Portable, mit der Vater ganz überraschend vor einem halben Jahr angekommen war; ich hatte nicht einmal Geburtstag gehabt, es war nur ein gewöhnlicher Mittwoch gewesen. Die ist übrig, sagte er. Architekten brauchen keine Schreibmaschine. Die schreiben mit der Hand. Ich erinnere mich an Vaters Schrift. Vaters Buchstaben waren Häuser in Reih und Glied, einige hoch, die meisten niedrig. Die Zeilen waren Straßen. Ich versuchte lange, sie nachzumachen. Als mir klar wurde, dass ich es nie schaffen würde, nie besser als Vaters Schrift werden würde, da musste ich mir etwas anderes ausdenken. Und stattdessen ließ ich Menschen in diese Häuser, die Worte waren, einziehen, und ich ging durch die Straßen, die Sätze waren. Ich schlich mich zwischen die Zeilen und fand Zeichen, geheimnisvolle und aufmunternde Zeichen, die mir allein gehörten. Vater schenkte mir also eine Schreibmaschine. Vielleicht hatte er gesehen, dass meine Handschrift hoffnungslos war, nur ein Durcheinander von Durchgestrichenem und Wiederholungen. Ich bekam keine Ordnung in die Worte, ich, der im tiefsten Inneren doch ein ordnungsliebender Mensch ohnegleichen war. Und jetzt saß ich hier, in meinem Zimmer in der anderthalben Etage, vor der Schreibmaschine. Ich hatte natürlich das Farbband gewechselt und die Tasten zu diesem Anlass geputzt. Dann zog ich den ersten Bogen in die Walze, wählte doppelten Zeilenabstand und schrieb den Titel, der mir schon lange klar war. Monduntergang. Mit dem war ich ziemlich zufrieden. Streng genommen brauchte ich nichts weiter zu schreiben. So zufrieden war ich mit dem Titel. Aber so leicht wollte ich es mir doch nicht machen. Ich hatte 26 Tage Zeit, um mit dem Gedicht fertig zu werden, bevor die Menschen es geschafft haben würden, auf dem Mond zu landen. Das müsste reichen. Eigentlich war ich der Meinung, wir sollten den Mond in Ruhe lassen. Ich meine, wenn wir erst einmal den Fuß darauf gesetzt haben, dann konnte es nie wieder wie vorher werden. Deshalb hoffte ich insgeheim, dass etwas schiefgehen würde, nicht, dass die Astronauten umkämen oder so etwas, aber zum Beispiel, dass sich eine Schraube in der Apollo löste, dass es schlechtes Wetter gäbe, dass Nixon eine Magen-Darm-Grippe bekäme oder dass Neil Armstrong sich das Bein bräche, ja, das wäre doch etwas, hätte Neil Armstrong sich das Bein gebrochen, als er hinausging, um die Post zu holen, denn ich zweifelte stark daran, dass jemand auf Krücken zum Mond fahren konnte.
    Ich zog die dünnen weißen Gardinen, die fast zu Staub in den Händen wurden, vors Fenster und konnte den Fjord sehen, den Fahnenmast, den Karpfenteich und den Rhododendron. Der Fjord lag glänzend und still da, mit einer Farbe, wie sie nur dieser eine Abend im Jahr, der Sankthansabend, mit sich bringen konnte, blaue Schatten, die wiederum blaue Schatten öffneten, und all dieses Blau verschwand in einem blauen Nadelöhr gleich hinter Kolsåstoppen. Über den Fahnenmast habe ich jetzt keine Lust etwas zu sagen, es muss reichen mit diesem Bettpfosten, abgesehen davon, dass die Farbe abgeblättert und die Kugel an der Spitze rostig war und die Stange deshalb einem Mast eines auf Grund gelaufenen Schiffes ähnelte. Es war übrigens schon ziemlich lange her, dass es Karpfen in dem trockengelegten Karpfenteich gegeben hatte, und ich zweifelte daran, ob es dort überhaupt jemals welche gegeben hatte, denn der Teich war so klein, dass selbst Kaulquappen sich in einer Schlange anstellen und warten mussten, bis sie Kröten wurden, oder waren es Frösche? Außerdem war das Wasser schon vor langer Zeit verrottet und zu Moos an den Rändern geworden. Wobei das ja auch unwichtig war. Aber der Rhododendron war ein richtiges Hotel für Hummeln, und es gab kein freies Zimmer mehr. Sie flogen den ganzen Tag aus den roten, weit geöffneten Türen ein und aus, und wenn die Dunkelheit einsetzte, wurden sie ordentlich hinter den Gästen geschlossen. Hummeln sind ziemlich gut erzogen, wenn man es recht betrachtet. Und wenn ich das Fenster kippte oder nur konzentriert genug lauschte, und ich habe ein ziemlich gutes Gehör, dann konnte ich das Summen bis hier oben hören, wo ich an der Schreibmaschine saß und das große Gedicht über den Mond schreiben wollte. Es gab übrigens einen in meiner Klasse in der Realschule, der
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