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Der Sommer, in dem meine Mutter zum Mond fliegen wollte - Roman

Der Sommer, in dem meine Mutter zum Mond fliegen wollte - Roman

Titel: Der Sommer, in dem meine Mutter zum Mond fliegen wollte - Roman
Autoren: btb Verlag: Verlagsgruppe Random House GmbH
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an das Besteck erinnern, die grünen Frühstücksbrettchen, die Serviettenringe, die Teetassen. Denn sie hatte nicht nur für sich gedeckt, sondern auch für Vater. Sein Tod war über ein Jahr her. Ich wusste nicht, ob ich es Liebe oder Einsamkeit nennen sollte, wahrscheinlich beides, denn Liebe ohne Einsamkeit ist unmöglich. Im Schlafzimmer waren die Betten immer noch für zwei gemacht. Das war nicht nur die einsame Liebe. Es war etwas Größeres. Es war die einsame Treue. Und in erster Line: Es sollte ordentlich aussehen. Ich setzte mich auf die Bettkante und zog die kleine Schublade des Nachttischs heraus. Als ich ein Junge war, fragte ich mich immer, was Mutter dort wohl aufbewahrte. Was hatten erwachsene Menschen, meine Eltern, in ihrer Nachttischschublade? Ich habe mich nie getraut, nachzusehen. Jetzt traute ich mich. Ich war schamlos. Der Tod gehört allen Menschen. Ein Handspiegel lag dort, ein Kamm, eine Pinzette, ein Päckchen Watte und Aspirin. Ganz hinten in der Schublade fand ich aber noch etwas anderes, Mutters Trilogie, Refrains, Traum und Attest. Zuerst nahm ich ein graues Heft heraus, es sah aus wie ein altmodisches Hausaufgabenheft, aber der Umschlag war voll mit handgeschriebenen Notenlinien und Titeln. Es war Mutters eigenes Gesangbuch. Es begann mit Over the Rainbow und endete mit Blue Skies. Ihre Schrift war deutlich, sorgfältig und schön. Außerdem hatte sie Fotos von bekannten Filmstars und Künstlern eingeklebt. Das war ihre Jugend, ihre alte Jugend. Unter diesem Heft lagen das gelbe Notizbuch aus dem Sommer 1969 und ein verblichener Umschlag. Zögernd öffnete ich das Notizbuch, widerstrebend, aber ich öffnete es. Die Seiten waren leer, bis auf die letzte, auf der Mutter in genau der gleichen Schrift geschrieben hatte: Mondfahrer (Astronauten): Neil Armstrong, Michael Collins, Edwin Aldrin, 21/7-69. Das war Mutters Gedicht, das ich selbst nie zustande gebracht hatte, und ihr sachliches Gedicht war größer als alles, was ich geschrieben hatte. Dann zog ich ein Blatt Papier aus dem verblichenen Umschlag. Es war ein Briefbogen von Remington Typewriter Co. A/S, Hauptbüro, Oslo. Darauf stand: Bestätigung. Frl. C. Funder hat vom 16. 3. bis zum 29. 4. 1939 an einem 60stündigen Kursus in Maschinenschreiben in unserem Institut teilgenommen. Frl. Funder erreichte eine Geschwindigkeit von 112 Anschlägen netto pro Minute.

Die norwegische Originalausgabe erschien 2012 unter dem Titel
»Sluk« bei Cappelen Damm, Oslo.
    1. Auflage
    Copyright © der Originalausgabe 2012 by CAPPELEN DAMM AS
    Copyright © der deutschsprachigen Ausgabe 2013 by btb Verlag
    in der Verlagsgruppe Random House GmbH, München
    Lektorat: Frauke Brodd
    Satz: Uhl + Massopust, Aalen
    ISBN 978-3-641-12138-9

www.btb-verlag.de
    www.facebook.com/btbverlag
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