Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Sommer, in dem meine Mutter zum Mond fliegen wollte - Roman

Der Sommer, in dem meine Mutter zum Mond fliegen wollte - Roman

Titel: Der Sommer, in dem meine Mutter zum Mond fliegen wollte - Roman
Autoren: btb Verlag: Verlagsgruppe Random House GmbH
Vom Netzwerk:
gelandet war. »Was ist mit Jesus? War der nicht auch ziemlich stur und auf seine Ehre bedacht?« »Nein. Jesus traf eine Entscheidung. Käpten Ahab hatte keine Wahl. Das ist der Unterschied.« »Ja, hatte er überhaupt eine? Hatte er eine Wahl? Jesus, meine ich.« Dr. Feel brach das Thema ab, schob den Papierbogen zu mir hinüber und ich schrieb. So einfach ist es, mit mir umzugehen. Ich schrieb den Satz, den ich hier nicht wiederholen möchte, dass meine Mutter von einer Krankheit ereilt und innerhalb kurzer Zeit sterben wird. Und damit nicht genug, ich wurde darum gebeten, diesen verdammten Satz laut zu lesen, und als ich das getan hatte, diesen Satz über meine Mutter gelesen, da musste ich ihn sogar noch singen, dass meine Mutter sterben werde, und mir fiel keine andere Melodie ein als Blue Skies, die jeden Morgen in der Ecke der Wohnung, in der ich aufgewachsen bin, gesungen wurde, wo das Licht von drei Fenstern auf unser Glück fiel. Nun verriet ich all das. Ich war ein Verräter.
    Ich schlief nicht in dieser Nacht. Bill saß bei mir. Er brauchte die Taschenlampe nicht einzuschalten, denn der Schein des Monds füllte das Zimmer mit goldenem Staub, mit Spänen und Staub, und erinnerte mich natürlich an alles, was ich verloren hatte. »Ich habe nur so schrecklich große Angst, Bill. Ich habe geschrieben, dass meine Mutter sterben wird.« Bill holte ein Glas Wasser. »Mütter sollten so oder so zuerst sterben. Wenn du vor ihr stirbst, ist es eine Kränkung. Und es ist meine Aufgabe, dich daran zu hindern, das zu tun.« Ich ergriff seine Hand. Die war trocken und fest. Übrigens fehlte ihm rechts ein Finger, der Zeigefinger, das war mir vorher nie aufgefallen.
    Morgen werde ich abfahren.
    Es gibt drei Regeln zu beachten, wenn man Sheppard P verlässt. Du darfst nicht heulen. Du darfst dich nicht umdrehen. Und du sollst sagen: Schön, dich kennengelernt zu haben, Kumpel. Ich hoffe, ich werde dich nie wiedersehen. Ich folgte den Regeln und verließ meine Freunde, die ich nur für wenige Monate kennengelernt hatte und die mich besser kennen als irgendjemand sonst. Ich träume immer noch von euch. Ich schweige und träume. Ich träume und schweige. Schaffst du es, morgens aufzustehen und ans Fenster zu gehen, Rehab Lucy, du, die du meine Uhr in Gang gebracht hast, hast du jetzt deine Zeit gefunden? Singst du, Lovely Rita, die du George Harrison 1964 getroffen hast, diesen schüchternen Jungen, der in die katholische Schule kam, um Frieden zu finden, Frieden bei dir? Singst du? Hast du wieder Segel gesetzt, Windshield Linda, du olympische Meisterin? Traust du dich, die Haare zu waschen, Gimmy Jimmy, wirst du dich eines Tages trauen, den Klettverschluss loszureißen, ihn von beiden Schuhen aufzureißen und barfuß zu gehen, ohne von hier ins Nichts zu fallen? Und du, Tinker Taylor, auf dich falle ich nicht herein, du Narr. Kanonenverein, oh ja! Du hast zu viel Literatur gelesen, sei vorsichtig damit, besonders mit Jules Verne, aber ich werde es niemandem verraten, nur eins: Vermische nicht Literatur und Wirklichkeit und auch nicht umgekehrt. Ich schweige und träume, mein Freund. Und du, Housewife Gin & No Tonic, hast du geglaubt, ich hätte dich vergessen? Was sollen wir beide jetzt mischen, was wenn nicht Regen und Blut? Ich bin von euch dort zwischen den großen Eichenbäumen fortgegangen. Ich habe mich nicht umgedreht. Ich habe nicht geheult. Ich habe nur gewusst, dass diese Leute für mich durch Feuer und Wasser gehen würden, schon auf den geringsten Hinweis hin, wir standen bereit, wir waren auf dem Sprung, wenn jemand uns mehr brauchte, als wir uns selbst brauchten. Und nicht zuletzt du, Bill, Mister Bill, du passt immer noch auf mich auf und wirst es immer tun, aber hast du jemanden, der in dieser Waffenruhe auf dich aufpasst?
    Der Mietwagen, um den ich gebeten hatte, stand auf dem Parkplatz vor dem Tor bereit. Ich legte meine beiden Koffer, den großen und den kleinen, in den Kofferraum, setzte mich hinein und stopfte das Handschuhfach bis zum Rand voll mit den richtigen, reichlichen Dosen, Zoloft & Lamictal, das bekannte Duo, das auch unter dem Namen Mustang & Apotheke läuft. Dann fuhr ich los, nicht nach Baltimore wie geplant, sondern auf gut Glück in alle anderen Richtungen, bis ich bei diesem einen Satz ankam, der mich zurück zur Sprache brachte, von der ich auch glaubte, sie verloren zu haben. Das Meer sammelt Flüsse.
    Ich hielt an der nächsten Kreuzung an, holte die Dosierungen heraus, 200 mg und
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher