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Der Sommer, in dem meine Mutter zum Mond fliegen wollte - Roman

Der Sommer, in dem meine Mutter zum Mond fliegen wollte - Roman

Titel: Der Sommer, in dem meine Mutter zum Mond fliegen wollte - Roman
Autoren: btb Verlag: Verlagsgruppe Random House GmbH
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und verwelkte sie. Deshalb leuchtete sie auch mit einer satten Kraft, trotz der zarten Farben. Vater legte mir die Hand auf die Schulter und sagte: Jetzt gehen wir nach Hause. Damit Mutter sich keine Sorgen um uns macht.

DER SOMMER,
IN DEM MEINE MUTTER ZUM
MOND FLIEGEN WOLLTE

1
    E s war der Sommer, in dem Menschen auf dem Mond landeten, zumindest zwei von ihnen. Der dritte musste brav in der Rakete bleiben oder wie sie das nannten, schon bitter, wenn man bedenkt, wie weit sie gereist waren, und dann darfst du irgendwie das letzte Stück nicht mehr mitgehen, genau den Teil, der wirklich zählt, das ist ungefähr so, als wenn man zu einem ganz vornehmen Fest eingeladen wird, auf dem vorher noch niemand war, und dann musst du auf der Treppe stehen bleiben und warten, bis es vorbei ist. Und nur, damit es klar ist: Ich weiß sehr wohl, dass es nicht gerade neu ist, wenn ein Roman so anfängt. Wenn du sie aufeinanderstapelst, all diese hoffnungslosen Romane, die mit großen Schritten für uns und kleinen Schritten für dich und mich und dem ganzen Gesäusel anfangen, würden sie wahrscheinlich ungefähr bis zu eben diesem Mond reichen, und du könntest trockenen Fußes hin- und zurückgehen. Und ich weiß auch gar nicht, ob das hier überhaupt ein Roman ist oder sein wird. Wir werden sehen. Außerdem ist mit dem Mond eigentlich sowieso Schluss, zumindest in dem Sommer, über den ich mir vorgenommen habe zu schreiben. Deshalb ist es besser, wenn ich an Bord der Nesodden-Fähre anfange, der »Prinsen«, der schönsten Fähre auf dem Oslofjord, mit schwarzem Rumpf, weißer Brücke, eigenem Kiosk, Herren- und Damentoilette und einem Geländer aus Mahagoni. Ich stehe auf dem Deck, ganz vorn, und sehe, wie der Bug das Wasser durchschneidet, und betrachte die Wellen, die an beiden Seiten einen Streifen nach dem anderen bilden, in einer fast unbegreiflich schönen Symmetrie. Die Wellen, die auf Bygdøy zurollen, bringen die Wikingerschiffe dort zum Schaukeln, während die anderen auf die zerfurchten Uferfelsen stoßen, auf denen die Urlauber Holz fürs Mittsommerfeuer sammeln. Es ist also Mittsommer, aber es ist noch lange hin bis zur Nacht. Wir sind auf dem Weg zum Ferienhaus. Wir, das sind Mutter und ich. Sie sitzt im Salon. Sie hat Angst, sich zu erkälten. Das hat sie immer, dabei braucht sie gar keine Angst zu haben, denn es ist so windstill, dass selbst die Segelboote eine Auszeit nehmen, weil sie nichts zum Vorwärtstreiben haben. Vater ist in der Stadt geblieben. Architekten nehmen nicht frei, sagt er immer. Das Land muss erbaut werden, Wohnungen in Hammerfest, ein Kraftwerk in Valdres, das Rathaus in Drammen, Schwimmhallen, Telefonzellen und Schulen. Und wenn die Erbauung des Landes glücken soll, dann muss man zunächst zeichnen, jede Wand, jede Treppe, jede Tür und jede kleinste Besenkammer. Sonst wird es nichts. Vater ist also Architekt. Er plant die Stadt, über die ich den Rest meines Lebens schreiben werde. Doch zunächst muss ich mich um den Mond kümmern. Ich bin fünfzehneinhalb Jahre alt. Ich bin endlich fertig mit der Realschule, zwei qualvolle Jahre, und im Herbst werde ich aufs Gymnasium gehen. Einen Augenblick lang, während ich dem Sommer entgegenfahre, fühle ich mich vollständig frei. Ich bin ergriffen vor Glück und kurz vor den Tränen. Weder früher noch später habe ich jemals etwas Ähnliches gefühlt, und ich habe es auf die verschiedensten Arten und Weisen versucht. Glaubt mir. Ich werde bald sechzig.
    Mutter kommt dann doch noch aus dem Salon, genau wie sie es immer tut, und stellt sich neben mich. Wie üblich hat sie zwei Eis gekauft, in Bootsform, irgendwie gehört das an Bord der Prinsen dazu, nicht wahr, was sollte man sonst essen, ein Nusseis, nein, das passt besser an Land. Wir lachen immer darüber, auch wenn man gar nichts mehr dazu sagen muss, es muss mindestens sieben Sommer her sein, dass wir es erwähnt haben, dass man an Bord der Prinsen natürlich nur Bootseis isst, ich glaube, ich war es sogar, der das gesagt hat, aber ich bin mir nicht ganz sicher, vor sieben Sommern war ich ja noch nicht besonders alt. Auf jeden Fall ist das unser kleines Spiel, und jetzt essen wir jeder unser Bootseis, schweigen aber dabei. Mutter trägt ein blaues Kopftuch, das sie fest unter dem Kinn geknotet hat, ungefähr wie einen Südwester, und sie erscheint mir wie immer anders als während des restlichen Jahres. Ich weiß nicht so recht, woran es liegt, vielleicht ist es eine Art Lockerheit, ein
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