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Der Sommer der Legenden

Der Sommer der Legenden

Titel: Der Sommer der Legenden
Autoren: Sarah Eden
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klammheimlich zu ihr auf die Veranda zu schleichen.
    Sie wurde erst aufmerksam, als ein Schatten über ihr Gesicht hei und die Wärme der Sonne stahl.
    Zunächst dachte sie an eine Wolke, und sie erschrak heftig, als sie blinzelnd zu der Silhouette des Hageren aufsah.
    »Reverend!« entfuhr es ihr. »Reverend Storm...«
    Er war es - sie erkannte ihn sofort. Und schauderte. Das Bild ihres toten Onkels blitzte vor ihrem inneren Auge auf. Dieses bleiche, eingefallene Gesicht mit den zornigen Augen.
    Wie der leibhaftige Tod sah auch Reverend Storm aus.
    Sein schwarzes Priestergewand umwehte die dürren Glieder, und jede noch so kleine Bewegung verursachte ein Rascheln und Schaben, als würden die Flügel eines großen Käfers aneinanderreihen.
    »Wo kommen Sie denn her?«
    Carol erhob sich unsicher aus dem Stuhl und stellte sich so, dass sie die Sonne im Rücken hatte und Storm direkt vor sich. Sie roch sogar seinen Atem und diagnostizierte Knoblauch in fortgeschrittenem Stadium. Unwillkürlich wich sie einen Schritt zurück.
    Storm schien es nicht zu bemerken oder bemerken zu wollen.
    Er streckte Carol die Hand entgegen, verzerrte das Totengesicht zu einer Grimasse und meinte entschuldigend: »Ich wollte Sie nicht erschrecken.«
    Es war unglaublich, aber seine Stimme hörte sich tatsächlich genauso an wie das um ein Vielfaches verstärktes Rascheln seiner Kleidung. Carol hatte Mühe, die Worte zu verstehen.
    »Ich habe kein Auto kommen hören«, sagte sie misstrauisch und erwiderte den harten Händedruck. Dabei fiel ihr der protzige Siegelring mit dem stilisierten Goldkreuz auf, der den Mittelfinger des Reverends zierte.
    Storm nickte. »Ich bin auch nicht mit dem Auto gekommen.«
    »Wie denn?«
    »Zu Fuß.«
    »Zu Fuß?« wiederholte Carol staunend. Bis Sioux City waren es fünf Meilen!
    »Training«, bestätigte der Einundneunzigjährige. »Es nützt nichts, allein im Kopf fit zu bleiben. Auch die Beine müssen beweglich bleiben!«
    Carol schüttelte fassungslos den Kopf. »Möchten Sie etwas zu trinken? Drinnen sieht es zwar noch aus, als hätte eine Bombe eingeschlagen, aber eine Erfrischung kann ich Ihnen auf jeden Fall an^ bieten.«
    »Danke, nein«, wehrte Storm ab. »Ich schätze, eines der Geheimnisse meines Alters ist, dass ich kaum trinke. Ich bin wie Dörrobst: vertrocknet, aber sehr haltbar.«
    Carol musste schmunzeln.
    Sie revidierte ihre vorgefasste Meinung, dass der Reverend jenseits von Gut und Böse sein musste.
    Er hatte Humor, daran gab es keinen Zweifel, und wer sich selbst nicht so ernst nahm, konnte nicht allzu unsympathisch sein.
    Sie bot ihm einen Platz auf der Bank neben dem Schaukelstuhl an, und er setzte sich, ohne zu zögern.

    »Womit kann ich Ihnen dienen?« fragte Carol. Sie warf einen Blick auf ihre Armbanduhr. Es war kurz nach zwei Uhr. Fisher musste jeden Augenblick aus der Stadt zurückkommen.
    »Oh«, seufzte Storm und nestelte nervös an seinem Kragen, als leide er plötzlich an Atemnot. »Ich wollte Sie nur warnen.«
    Carol starrte ihn an, als hätte sie nicht richtig gehört.
    »Warnen?« fragte sie.
    Strom nickte düster. Sein Indianergesicht wirkte unvermittelt wie ein aus Holz geschnittenes, von der Sonne gedörrtes Totem.
    »Sie und Ihre Familie... Sie sind in Gefahr«, sagte er.
    »Was meinen Sie damit?« Carol ärgerte sich über die Gänsehaut, die ihren Körper überlief. Verdammt, was wollte dieser Greis?
    »Big John hat bereits bezahlt«, fuhr der Reverend mit raschelnder Stimme fort. »Gott war ihm gnädig. Er hat ihn zu sich gerufen -oder zur Hölle geschickt. Wir werden es nie erfahren. Aber Sie... Sie sind die Menschen, die Sie lieben... Sie sollten nicht hierbleiben - nicht hier!«
    »Warum nicht? Großer Gott, wovon reden Sie?« fuhr Carol aus der Haut. Wenn sie eines hasste, dann waren es Andeutungen solcher Art.
    Das Geräusch ' eines Motors lenkte sie ab.
    Fisher führ in den Hof.
    Carol ließ Strom stehen und lief ihm die paar Schritte entgegen.
    »Gott sei Dank dass du da bist! Wir haben Besuch«, empfing sie ihn zitternd.
    »Besuch?« Fisher war verschwitzt und müde. Missmutig blickte er zum Haus hinüber. »Wer ist denn gekommen?«
    »Dieser Priester, der das Begräbnis geleitet hat...«
    Carol folgte seinem Blick zur Veranda und erstarrte.
    »Wo ist er?« fragte Fisher. »Im Haus?«
    Carol spürte das übermächtige Verlangen, laut loszuschreien.
    Strom war verschwunden, als hätte ihn der Erdboden verschluckt.
    Und er blieb es auch.

    Sie erwachte mitten
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