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Der Sommer deines Todes

Der Sommer deines Todes

Titel: Der Sommer deines Todes
Autoren: Kate Pepper
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bin schon unterwegs, mein Schatz. Ich bin schon unterwegs.»

Kapitel 25
    Sonntag, 22. Juli
    S eit wir in der Maschine nach New York sitzen, schaut Fremont aus dem verkratzten Fenster. Neben ihm ist Dathi in ein Buch vertieft, das sie am vergangenen Tag in Rom gekauft hat. Ich sitze auf der anderen Seite des Gangs und halte Bens Hand. Mein kleiner Sohn, der auf Macs Schoß sitzt, schaut sich auf dem winzigen Bildschirm voller Verzückung einen Zeichentrickfilm an. Von meinem Platz aus kann ich eigentlich nur verschwommene Pixel erkennen, aber ein riesiger gelber Fleck entpuppt sich als Bibo aus der Sesamstraße, den Ben über alles liebt.
    Fremonts hohe hellbraune Wangenknochen erinnern mich an Mary. Er ist seiner Mutter wie aus dem Gesicht geschnitten. Ich muss bei jeder Gelegenheit an Mary denken. Ihren Leichnam haben wir nicht gefunden. Falls die Haie nicht Witterung aufnehmen, werden ihre sterblichen Überreste der italienischen Polizei zufolge irgendwann ans Ufer geschwemmt. Die Beamten haben uns erklärt, was bei einem solchen Sturz passieren kann: Entweder man prallt auf hartem Gestein auf oder landet im Wasser, oder die Kleider verfangen sich an einem Felsvorsprung, und man bleibt dort so lange hängen, bis der Stoff reißt. Da man unterhalb der Klippe zwar Blut, aber nicht Marys Leichnam gefunden hat, gehen alle davon aus, dass sie ins Meer gestürzt ist. Nach dem Vorfall haben wir noch eine Woche auf Sardinien und in Rom verbracht, um den staatlichen Ermittlern zu helfen, den Fall aufzudröseln, und sehnsüchtig auf ein Lebenszeichen von Mary gehofft. Wäre es nicht möglich, dass ein vorbeischipperndes Boot sie aus dem Wasser gezogen hat? Oder dass sie irgendwo an Land geschwemmt wurde und sich an nichts erinnern kann? Was, wenn … Was, wenn …
    In der Hoffnung, durch die spärlichen Wolkenlücken einen Blick auf das Meer zu erhaschen, das seine Mutter verschluckt hat, stiert Fremont immer noch nach draußen. Er ist nicht in der Lage, einen Schlussstrich zu ziehen, und ich hege den Verdacht, dass es noch Jahre dauern wird, bis er sich mit ihrem Tod abfinden kann. In der Botschaft in Rom hat man uns darüber aufgeklärt, dass sieben Jahre verstreichen müssen, ehe die Sterbeurkunde ausgestellt wird. Dass sie nicht gleich für tot erklärt wird, soll uns trösten, doch wir machen uns nichts vor: Mary ist von uns gegangen.
    Ich versuche mir einzureden, dass Mary geflogen ist, nachdem Enzio Greco sie über das Geländer geworfen hat. In meiner Vorstellung schwebte sie an den Steilklippen vorbei, wurde wie eine Feder vom Wind fortgetragen und landete sanft im türkisfarbenen Wasser. Ein Teil von mir möchte glauben, dass sie es genossen hat, für einen kurzen Augenblick durch die Luft zu segeln. Doch in Wahrheit verstört mich die Vorstellung, wie sie im Meer aufschlug, und bereitet mir physische Schmerzen. Jetzt, während wir den Ozean überqueren und endlich wieder nach Hause fliegen, fröstelt es mich und ich fühle mich innen und außen ganz wund. Ich streiche mit dem Daumen über Bens weiche Patschhand und merke, wie gut mir die Berührung tut.
    Enzio Greco landete auf einem spitzen Felsvorsprung. Sein blutüberströmter Leichnam wurde geborgen und noch am selben Tag von den Carabinieri zur Gerichtsmedizin in Cagliari gebracht. Das amerikanische Außenministerium erwägt, ein Auslieferungsverfahren zu beantragen, um Liz Braud und Blaine Millerhausen in den Staaten unter Mordanklage zu stellen, aber Italien, das die beiden Frauen wegen Verabredung zu einer Straftat, Entführung und Korruption vor Gericht stellen möchte, ziert sich noch. Das Büro zur Verbrechensbekämpfung der internationalen Handelskammer stellt gerade eine Task Force zusammen, die prüfen soll, ob gegen die Millerhausens, die Rossis, Lacie Chen, Ian Gelson, Kroll und Barclays Anklage wegen Korruption erhoben werden kann. Nach dem, was in den Zeitungen steht, wurde der italienische Ministerpräsident über den Fall informiert. Die Aufarbeitung der Verbrechen, für die sich zwei Länder interessieren, wird aller Voraussicht nach mehrere Jahre dauern.
    Daheim in New York steht Godfrey Millerhausen in seinem Apartment auf der Park Avenue unter Hausarrest und wartet dort auf sein Gerichtsverfahren. Mit dem Scheckabschnitt, den die Rossis versehentlich weggeworfen haben, konnte nachgewiesen werden, wie ihr Honorar von einer Offshore-Firma – ein Tochterunternehmen von Hauser International und damit Teil des Millerhausen-Imperiums – auf
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