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Der Sommer deines Todes

Der Sommer deines Todes

Titel: Der Sommer deines Todes
Autoren: Kate Pepper
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den Kanarischen Inseln überwiesen wurde. Wie sich herausgestellt hat, existieren die Rossis tatsächlich: Der Künstler und seine Ehefrau waren mit Liz Braud befreundet und brauchten dringend Geld.
    Ich schaue zu Mac hinüber, der die Augen geschlossen hat. Sein von Lebenserfahrung, Weisheit, Trauer, Hoffnung und Liebe gezeichnetes Antlitz ist innerhalb der letzten Wochen stark gealtert. Oder vielleicht projiziere ich auch meine eigenen Gefühle auf ihn. Ich frage mich, ob er schläft. Als er tief Luft holt und langsam ausatmet, nehme ich mir ein Beispiel und tue es ihm gleich.
    Als Cathy Millerhausen an jenem Junimorgen bei uns erschien und Mac anheuerte, weil sie wie so viele Klienten wissen wollte, ob ihr Mann sie betrügt, konnte keiner ahnen, wie kompliziert und schmerzhaft dieser Fall werden würde, welchen Preis wir persönlich am Ende dafür bezahlen würden.
    Mary.
Mary.
Ich vermisse dich.
    In dem Moment dreht Fremont den Kopf und schaut mir in die Augen.
     
    Dass Fremont keinen Vater hat, daran ist er gewöhnt, doch mit dem Verlust der Mutter wird er sich nie abfinden. Immer wieder muss er an Marys so vertraute hellbraune, grün gefleckte Augen denken, während ihm Karins blaue Augen, in die er gerade blickt, beinahe fremd vorkommen. Karin und Mac sind überaus nett zu ihm, aber wird er ihnen jemals die Gefühle entgegenbringen, die er für seine Mutter empfunden hat?
    Dathi tut so, als wäre sie in ihr Buch vertieft. In Wahrheit spürt sie die Blicke, die Karin und Fremont austauschen. Sie weiß, was in einem Waisenkind vorgeht, wie lange es dauert, mit der Situation zurechtzukommen. Sie fragt sich immer noch, ob es wohl Karma war, dass sie von weißen Amerikanern adoptiert wurde, doch inzwischen hat sie sich an ihr neues Zuhause gewöhnt. Sie erinnert sich sehr gut an ihre Eltern, aber der Schmerz über den Verlust – zuerst starb ihr Vater, dann ihre Mutter – wurde mit der Zeit schwächer, erträglicher und legte sich irgendwann ganz. So wird es Fremont auch ergehen, und bis es so weit ist, wird sie ihm wie eine Schwester zur Seite stehen. Ob er mir wohl erlauben wird, bei seiner Band mitzumachen, überlegt sie. Sie singt gern. Ihre Mutter, ihre leibliche Mutter, ihre wahre Mutter hat sie immer ‹mein Singvögelchen› genannt.
    Mac tut jede Faser im Körper weh, und egal, wie lange er die Augen schließt, er findet keine Ruhe. Im Flugzeug konnte er noch nie gut schlafen.
    Er entsinnt sich, wie sehr ihn die Arbeit im vergangenen Jahr langweilte und wie ungern er den Millerhausen-Fall übernommen hat, weil er zunächst wie all die anderen Aufträge ausgesehen hat, in denen er einen vermeintlich untreuen Ehemann beschatten musste. Jobs, die es ihm zwar erlaubten, seine Rechnungen zu begleichen, die ihn jedoch abstumpften. Er hat den Auftrag nur des Geldes wegen angenommen und ließ ihn sofort fallen, als Kroll ihn mit einem deutlich größeren Stück vom Mammonkuchen köderte. Es ist noch gar nicht lange her, dass ihm dieser lukrative Auftrag, gepaart mit dem Urlaub, wie ein Lottogewinn erschien und er sich allen Ernstes einbildete, entspannt und mit einem Batzen Geld auf dem Konto zurückzukommen. Ein verhängnisvoller Trugschluss. Es wird noch eine ganze Weile dauern, bis er sich von diesem Fall erholt hat. Marys Tod setzt ihm schwer zu, und jetzt muss er sich auch noch um Fremont kümmern, einen Teenager, der bislang ohne Vater ausgekommen ist. Nicht, dass Mac sich mit Söhnen in der Pubertät auskennen würde. Irgendwo hat er einmal gelesen, dass heranwachsende Jungs hart daran arbeiten, ihre Väter abzulehnen, dass männliche Familienmitglieder sich irgendwann nahezu archaisch bekämpfen. Steht ihm das auch mit Fremont bevor, der nie einen Vater gehabt hat? Können sich ein Mann und ein Junge, die unvermittelt in die Rolle von Vater und Sohn schlüpfen müssen, gleichzeitig akzeptieren und ablehnen?
    Ben, der auf seinem Schoß sitzt, erdet ihn wieder. Und Mac denkt: Heute ist ein guter Tag. Er könnte zwar noch besser sein, aber er gibt sich mit dem zufrieden, was ist.
    Als sie durch den Zoll kommen, stößt Mac vor Erleichterung einen Seufzer aus. Billy, sein einäugiger Freund, überragt die anderen Chauffeure, die mit selbstgemachten Schildern auf ihre Kunden warten.
    «Hallo!», ruft Dathi und winkt.
    «Billy, der Pirat», murmelt Ben verschlafen und hebt kurz den Kopf. Mac, der Ben trägt, kommt es heute so vor, als wöge sein Sohn einen Zentner.
    Schmunzelnd schiebt sich Billy durch die
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