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Der Sommer deines Todes

Der Sommer deines Todes

Titel: Der Sommer deines Todes
Autoren: Kate Pepper
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einzelnen Raum, öffnen Schränke, schauen in Ecken und unter Betten, kontrollieren die Kücheneinrichtung. Bis auf das Plastikboot deutet nichts darauf hin, dass hier in letzter Zeit jemand übernachtet oder eine Mahlzeit eingenommen hat.
    «Hm, ich weiß nicht», murrt Guy, während wir zu dritt auf dem Treppenabsatz im zweiten Stock stehen. Durch das Flurfenster fällt Licht, durch die Sonnenstrahlen schwirren aufgewirbelte Staubkörnchen.
    «Wir müssen das Gelände absuchen.» Gerade als ich Macs Vorschlag zustimmen möchte und Guy schon ein paar Stufen nach unten gegangen ist, hören wir draußen Schritte.
    Mac und ich stürmen zum Fenster. Guy zwängt sich zwischen uns. Mary und Dathi laufen zum Kliff. Fremont steht so dicht am Abgrund, dass man meinen könnte, er schwebe in der Luft. Der Junge winkt hektisch und ruft etwas, das wir im Leuchtturm nicht verstehen können.

Kapitel 23
    D a ist er!», brüllt Fremont. «Ich sehe ihn! Da ist er!»
    Dathi, die sofort an eine kaputte Puppe denken muss und nicht weiß, was mit
er
und
da
gemeint ist, kriegt es mit der Angst zu tun. Liegt Ben dort unten?
    «Ben», ruft Mary keuchend, «Ben.» Vor lauter Erleichterung ist sie ganz aufgekratzt und vergisst, dass hinter dem Abgrund nur Luft, Himmel und Leere existieren.
     
    Fremont beobachtet, wie Dathi seine Mutter beim Gehen stützt, und sieht Mary auf einmal mit ganz anderen Augen: Da ist eine Frau, die Hilfe braucht, eine Mutter, die bis auf ihn ganz allein auf dieser Welt ist. Er fühlt sich plötzlich nicht mehr nur wie ein Sohn, sondern auch wie ein erwachsener Mann. Warum hat er seiner Mutter nicht gesagt, sie solle am Hubschrauber warten und die Suche ihm und Dathi überlassen? Bis auf einen Müsliriegel und eine halbe Flasche Wasser hat Mary noch nichts zu sich genommen. Sie müssen dafür sorgen, dass sie wieder zu Kräften kommt, aber zuerst gilt es, Ben zu finden. Dathi – dieses dreizehnjährige Mädchen, das ihm in vielem etwas voraus hat – ist in den letzten Tagen wie eine Schwester für ihn geworden, und er spürt, dass ihre Freundschaft ewig währen wird.
    Er befindet sich am Ende eines Weges, den man nur vom Rand der Klippe sehen kann. Auf dem Boden liegt ein Schild, auf dem
Grotta di Nettuno – Attenzione!
steht. In den Steilhang sind schmale Stufen gehauen. Ein niedriges Geländer schützt vor dem Sturz in die Tiefe. Hinter ihm fliegt die Leuchtturmtür auf, und Karin, Mac und Guy kommen herausgestürmt.
    Unten steigt der Mann mit den weißen Haaren gemächlich Stufe um Stufe die Treppe hinauf. Der Polizeichef, der offenbar nur so vor Selbstbewusstsein strotzt und sich an diesem Ort allein wähnt, gönnt sich eine Pause und schaut in aller Seelenruhe aufs Meer hinaus, doch als er weitergeht, den Blick hebt und sie sieht, registriert Fremont voller Schadenfreude sein Entsetzen.
    «Sie», schreit seine Mutter beim Anblick des Mannes, der Emiliana und Cosima oder Liz und Blaine bei ihren Machenschaften so tatkräftig unterstützt hat.
«Sie.»
    Fremont packt sie am Arm, damit sie nicht die Stufen hinunterfällt, doch sie schüttelt seine Hand ab und läuft los. Fassungslos heften sich Fremont und Dathi an ihre Fersen. Wie von der Tarantel gestochen, rennt Mary die Stufen hinunter und hält sich dabei am Geländer fest. Dass sie nach ihrer Gefangennahme zu derlei Höchstleistungen fähig ist, grenzt an ein Wunder.
    «Wo ist Ben?», kreischt sie in einem Tonfall, den er nicht kennt und der ihn frösteln lässt. «Wo ist er?»
    Marys Verhalten lässt Fremont um weitere fünf Jahre altern und führt ihm plastisch vor Augen, welche Macht Schuldgefühle und Gewissensbisse haben können. Er begreift, dass seine Mutter denkt, sie hätte Karin und Mac im Stich gelassen und alle anderen enttäuscht. Sein vermeintlicher Tod hat ihre Zähigkeit und ihren Überlebenswillen geschwächt, und er kann sich vorstellen, wie groß ihre Furcht gewesen sein muss, auch noch für Bens Tod verantwortlich zu sein. All das muss für jemanden wie sie vollkommen unerträglich sein. Die Stufen hinunterhetzend, beißt er die Zähne so fest zusammen, bis es schmerzt.
     
    Mac setzt sich noch vor Karin und Guy in Bewegung und verstößt gegen die Abmachung, die sie getroffen haben: Derjenige, der bewaffnet ist, übernimmt die Führung. Aber in der jetzigen Situation pfeift er auf die Vereinbarung und rennt hinter Fremont und Dathi her, die Mary die steinernen Stufen hinunter folgen.
    Von Guy weiß er, dass die Treppe zur
Grotta
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