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Der Sohn des Sehers 01 - Nomade

Titel: Der Sohn des Sehers 01 - Nomade
Autoren: Torsten Fink
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die sich ein gutes Stück über die kahle Ebene zogen. In einiger Entfernung sah er die Reste einer weißen Kuppel. Hinter ihm ragte der Glutrücken in den Nachthimmel. Aber - wo war die Wüste? Er stand bis zu den Knien in einem kleinen Hügel Sand, aber sonst gab es nur nackten Boden. Die Slahan war fort.
    Merege stand auf, klopfte sich Staub aus dem schwarzen Gewand und betrachtete nachdenklich den Himmel. Schließlich
sagte sie: »Das ist der Lange Mond. Seht ihr die Sterne dort? Nur bei Mittwinter siehst du die Sichel Uos so hoch stehen.«
    »Mittwinter? Das kann nicht sein. Es war etwa Mittsommer, als wir aufbrachen!«, widersprach Awin.
    »Nein, diese Hexe hat Recht. Es ist der Frostmond. Auch wenn ich nicht verstehe, wie das möglich ist«, brummte Curru.
    »Ein halbes Jahr? Wir waren ein halbes Jahr in diesen Gängen?«, rief Awin ungläubig.
    »Es muss eine wirklich mächtige Maghai gewesen sein«, meinte der alte Seher nachdenklich.
    »Eine Maghai, ist das dein Ernst?«, fragte Merege aufgebracht. »Es gibt keine weiblichen Maghai, hast du das vergessen, Seher? Und es war auch sicher keine Hexe. Oder glaubst du wirklich, dass ein Zauberer oder eine Hexe oder überhaupt irgendein Mensch über ein Heer solcher Ungeheuer gebieten könnte? Wenn du das glaubst, dann bist du ein Narr, Curru von den Hakul.«
    Es war das erste Mal, dass Awin sie so wütend erlebte.
    »Zumindest bin ich kein Verräter, der seine Brüder im Kampf angreift, Hexe!«, schleuderte ihr der alte Seher entgegen.
    »Und was ist der, der für sich behält, was seine Brüder so verzweifelt suchen?«, fragte Merege. Plötzlich war sie wieder ganz gelassen.
    Curru ballte die Fäuste. »Er ist vorsichtig und das zu Recht, denn der Hexe kann er ebenso wenig trauen wie seinem Schüler, der ihn und seinen Klan hintergangen hat!«
    Awin schüttelte den Kopf. Curru verstand alles falsch, und zwar, das begriff er erst jetzt, mit voller Absicht! Er wollte gar nicht verstehen, dass dieses schmächtige Mädchen sie alle gerettet hatte.
    »Sie hat uns gerettet, siehst du das nicht, Curru?«, fragte er trotzdem.

    Aber Curru antwortete nicht, sondern stapfte wütend davon.
    »Wo will er hin?«, fragte Awin.
    Die junge Kariwa zuckte mit den Schultern. »Weit wird er schon nicht gehen.«
    Awin seufzte. Er stellte fest, dass er sein Sichelschwert irgendwo verloren haben musste. Der Mond warf helles Licht auf den nackten Boden, und im weiten Umkreis sah er kleine Dinge weiß schimmern. Er wusste, dass das Knochen waren. Ganz in der Ferne glaubte er Dünen zu sehen. Also war die Slahan vielleicht doch nicht ganz verschwunden. »Merege, was war das?«, fragte er schließlich.
    Die Kariwa sah nachdenklich zu Boden und zog mit dem Fuß Linien in den Sand. »Ich war schon am Skroltor, wenn ein Daimon dagegenhämmerte. Sie müssen sehr wütend oder verzweifelt sein, wenn sie sich trotz Edhils Siegel dem Tor nähern. Es verursacht ihnen Schmerzen.«
    »Dann war das also doch … nur … eine … Alfskrole?«, fragte Awin unsicher.
    »Ich glaube nicht. Sie ist sehr mächtig. Herrin über den Sand. Ich glaube, auch die Winde hatte sie unterworfen.«
    »Ist? Aber, ich meine, wir - ich meine, du -, du hast sie doch vernichtet, oder?«
    Merege sah sehr ernst aus. Im Mondlicht war ihre helle Haut beinahe schneeweiß. »Ich bezweifle, dass man Xlifara Slahan vernichten kann, junger Hakul.«
    Awin öffnete den Mund zu einer Antwort und schloss ihn wieder. Xlifara Slahan? Nein! Sie war eine Göttin. Das war nicht möglich.
    »Wir haben sie vertrieben«, sagte Merege bedächtig. »Und ich glaube, es ist seit vielen Jahrhunderten nicht geschehen, dass eine Göttin von Menschen bezwungen wurde. Sie hatte schon viel von ihrer Macht verloren, wenn stimmt, was ich an euren
Lagerfeuern gehört habe. Und ich glaube, die Nähe des Heolins hat sie noch weiter geschwächt. Aber vernichtet? Nein, vernichtet haben wir sie nicht. Sie ist fort, geflohen. Ich bin nicht sicher, ob das gut ist.«
    Awin blickte stumm auf die Ruinen, die sie umgaben. Die Wüste war verschwunden. Das war undenkbar, aber geschehen. War es undenkbarer als die Winde, mit denen er gesprochen hatte? Nyet, der den Löwen getötet hatte, Isparra, die ihn um Hilfe gebeten hatte? Er hatte Isparra gesehen, bevor der Sand ihn beinahe doch noch erstickt hätte. Es hatte ausgesehen, als sei sie zerrissen worden. Was war mit ihr geschehen? Und was mit den anderen Winden? Wie Curru gesagt hatte, war es der Westwind, der über
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