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Der Sohn des Sehers 01 - Nomade

Titel: Der Sohn des Sehers 01 - Nomade
Autoren: Torsten Fink
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langsam.
    »Euer Feind war in der Nähe. Ich glaube, er hat diesen Stein hier verloren.«
    »Den Heolin? Hast du ihn gefunden?«, rief Eri aufgeregt, bevor Awin ihn bremsen konnte.
    »Heolin«, antwortete die Stimme, und es schien, als würde sie aus den Totenschädeln kommen, die von der Wand starrten. Sie beantwortete die Frage nicht, sondern fragte nun ihrerseits: »Habt ihr ihn gefunden?«
    Curru schob seinen Teller zur Seite. Sein Misstrauen war offensichtlich wieder erwacht und stärker als sein Hunger. »Nein, Ehrwürdige, wie ich schon sagte, der Fremde ist uns entkommen. Er wird ihn haben.«
    »Aber er ist doch hier, dieser Stein. Ich kann ihn fühlen«, erwiderte die Stimme.

    Curru sah lauernd zu dem Vorhang hinüber. »Wenn du den Heolin an dich genommen hast, wären wir dir dankbar, wenn du uns diesen Stein überlassen könntest, Ehrwürdige«, erwiderte er ruhig.
    »Ich würde den belohnen, der ihn zerstört«, antwortete ein bekümmertes Flüstern, »reich belohnen.«
    »Leider haben wir ihn nicht«, entgegnete Curru steif.
    Awin witterte den Geruch der Lüge, ja, er spürte unzweifelhaft, dass sein Meister log. Senis hatte gefragt, ob Curru den Jungen durchsucht hatte, aber das hatte er nicht. Awin biss sich auf die Lippen. Wenn Curru den Heolin nicht in dem Sack bei den anderen Schätzen gefunden hatte, warum hatte er dann nicht auch Pferd und Reiter durchsucht? Das ergab keinen Sinn, es sei denn - Curru hatte schon gefunden, was sie alle so dringend suchten. Awin wurde heiß und kalt. Sein Meister hatte den Lichtstein längst! Er hatte es ihnen verheimlicht. Selbst Eri wusste es nicht.
    »Nein«, flüsterte die Dhane. »Er ist hier, er ist näher. Ich spüre den Schmerz, die Pein. Ihr habt ihn mitgebracht an meine Tafel!«
    »Ich weiß nicht, wovon du redest, Ehrwürdige«, entgegnete Curru gelassen.
    »Du weißt nichts, wie mir scheint, Seher«, erwiderte die Stimme unnatürlich sanft. »Du weißt nichts über den Heolin, du weißt nichts über das Verhängnis, das über euch schwebt.«
    Awin hörte ein durchdringendes Knacken in der Wand, und es kam ihm so vor, als sei das Rieseln des Sandes lauter geworden. Er bemerkte, dass Merege sich unmerklich vom Kopfende der Tafel entfernte. Ganz langsam rutschte sie zur Seite. Sie ließ den Vorhang nicht mehr aus den Augen.
    »Er ist hier, an meiner Tafel!«, schrie die Dhane plötzlich.
Ihre Stimme war so durchdringend, dass es schmerzte. Und dann verfärbten sich die Wände dunkel. Dünne Rinnsale aus Blut flossen aus den Augenhöhlen der Totenköpfe, und Blut quoll zwischen den bleichen Rippen hervor. Awin hörte wieder das schneidende Knacken in den Wänden. Er blickte besorgt zur Decke. Ein Riss war dort zu sehen. War der vorhin schon da gewesen? Eine feine Spur Sand rieselte herab.
    »Wollt ihr Silber? Wollt ihr Eisen? Oder gar Gold? Immer wollt ihr Schätze, immer! Ich gebe euch alles, was ihr wollt, wenn ihr ihn nur zerstört!«, rief die Dhane jetzt. »Zerstört ihn! Jetzt!«
    »Eisen und Gold?«, fragte Eri beeindruckt.
    »Schweig, Eri«, schnaubte Curru, und dann stand er auf. »Nun, Dhane, oder sollte ich dich Maghai oder besser gleich Hexe nennen? Ja, er ist hier. Er ist unser. Kein Silber oder Eisen der Welt kann ihn aufwiegen. Er hält das Böse von uns fern. Spürst du ihn? Spürst du ihn brennen, Hexe? Offenbar verträgst du ihn nicht! Warum sollte ich ihn dir geben? Vergiss nicht, ich bin ein Seher, und ich sehe, dass du Böses im Schilde führst, und der Heolin sieht es auch! Komm doch und hole ihn dir - oder vermagst du es nicht?«
    Die Fremde stöhnte hinter dem Vorhang. Sie schien große Schmerzen zu leiden. Awin stand langsam mit den anderen auf. Plötzlich sprang Eri zum Vorhang. Er riss ihn zur Seite, und der Stoff verwandelte sich und zerfiel zu Sand. Verblüfft starrte Eri auf seine leere Hand, durch die der Sand rann. Hinter dem Vorhang glaubte Awin für einen Augenblick, einen Schemen zu erkennen, der sich an die Wand lehnte - und dann in ihr verschwand.
    Das Knacken wurde lauter. Es sprang über die Decke, durch die Wände und selbst durch den Fußboden. Ein böses Zischen lenkte ihre Blicke auf den Tisch. Und dort, wo sich gerade noch die schwere Holzplatte unter köstlichen Speisen gebogen hatte,
war von einer Sekunde auf die nächste nur noch Sand. Curru taumelte vornüber, hustete, Sand rann ihm aus dem Mund. Eri verfärbte sich und krampfte sich stöhnend zusammen. Das beunruhigende Knacken verwandelte sich in ein
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