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Der Sohn des Sehers 01 - Nomade

Titel: Der Sohn des Sehers 01 - Nomade
Autoren: Torsten Fink
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den nackten Boden zog. Wo waren Slahans Winde jetzt?
    Eri kam zu sich. Er hustete Staub. Warum war dieses Stückchen Sand, in dem sie fast erstickt wären, zurückgeblieben? Vielleicht hatte er diese Frage, ohne es zu merken, laut gestellt, denn Merege antwortete: »Sie konnte sich dem Heolin nicht nähern. Dieses Stück musste sie zurücklassen - und hätte uns so doch noch fast getötet.«
    Auf eine seltsame Weise ergab das Sinn.
    »Der Heolin, wo ist er?«, fragte Eri hustend.
    »Ich habe ihn sicher verwahrt«, antwortete Merege kühl.
    »Er gehört uns!«, rief Eri wütend.
    Merege zischte nur verächtlich. Awin wandte sich ab. Diese leere Ebene war unheimlich. Ob das dort hinten wirklich Dünen waren? Es wäre unvorstellbar, wenn die Slahan ganz verschwunden wäre. Sein Volk hatte sie nicht nur als Feindin betrachtet. Sie war gefährlich, natürlich, aber sie war viel gefährlicher für Budinier und Akkesch, die sie nicht kannten und die ihre Winde nicht achteten. Wer aber die Opfer brachte und ihre Zeichen lesen konnte, der konnte sie durchqueren und den konnte sie
sogar vor seinen Feinden beschützen. »Kann ich ihn sehen, den Lichtstein?«, fragte er. Sie waren weit gereist, um diesen Stein wiederzuerlangen, und er hatte ihn noch nicht einmal zu Gesicht bekommen.
    Merege musterte ihn nachdenklich, aber dann nickte sie. Sie zog ein Bündel lederner Lumpen aus ihrem Gewand, löste eine Schnur und begann, es auseinanderzuwickeln. Vielleicht war es dieses alte Leder, das den Stein vor der Gier des Fremden bewahrt hatte, dachte Awin. Der Räuber hatte ihn mitgenommen, aber es konnte unmöglich sein, dass er ihn sich näher angesehen hatte, er hätte ihn sonst sicher nie wieder aus der Hand gegeben. Awin erinnerte sich an das gleißende Licht, das ihn geblendet hatte. Gespannt sah er dem schmächtigen Mädchen zu. Schließlich lüftete sie die letzte Schicht. Dann lag er in ihrer schlanken Hand. Awin hatte ein helles Feuer erwartet, aber er wurde enttäuscht. Es war ein länglicher Stein, kleiner, als Awin gedacht hatte. Er hätte ihn leicht in seiner Faust verstecken können. Rötlich gelb war er, fast wie Bernstein. Und in seinem Inneren glomm ein schwacher Funke. »Aber - wo ist die unerträgliche Helligkeit, die einst Etys geblendet hat, und die verzehrende Hitze, die seine Hand verbrannte?«, fragte er zögernd.
    »Er war lange in der Erde verborgen, und ich habe ihm auch Kraft genommen. Vielleicht hat er seine Stärke für immer verloren, vielleicht kehrt sie aber auch zurück, wenn die Sonne ihn berührt. Edhils Siegel ist im Sommer auch stärker als im Winter«, erklärte Merege.
    »Er gehört uns, Hexe«, sagte Eri wieder. »Ich weiß, du willst ihn zurückbringen in dein eisiges Land. Ich habe euch reden hören, dich und Awin. Aber er gehört uns. Du kannst ihn nicht haben!«
    »Du kannst versuchen, ihn mir wegzunehmen, Knabe!«, entgegnete Merege kalt.

    »Der Stein gehört mir!«, rief Eri und griff danach.
    Merege wehrte ihn mit Leichtigkeit ab.
    Awin hob die Hand, um den Streit zu beenden. »Deine Ahnmutter sagte, dass du ihn auf keinen Fall behalten darfst.«
    Merege sah ihn überrascht an. Sie kniff die Augen zusammen und schien zu überlegen. »Warum?«, fragte sie schließlich knapp.
    »Sie sagt, er sei gefährlich, Merege.«
    »Hat sie denn gesagt, dass er euch gehört?«
    »Nein, das nicht, aber ich kann sie fragen, denn ich bin sicher, dass ich sie wiedersehe.«
    Die junge Kariwa sah ihn nachdenklich an.
    »So hat sie nicht gefunden, was sie gesucht hat?«
    Awin runzelte die Stirn. Senis hatte auch darüber gesprochen. Die Wurzel des Todes. Das hatte sie am Rotwasser gesagt. Plötzlich begriff er, für wen sie diese Pflanze suchte. Entsetzt sah er Merege an. »Sie will sich selbst … Aber weshalb?«
    Die junge Kariwa legte den Kopf leicht zur Seite und zuckte mit den Schultern. »Sie ist alt, sehr alt und müde«, antwortete sie schlicht. Dann betrachtete sie den sanft glimmenden Stein in ihrer Hand. Wie in einem plötzlichen Entschluss reichte sie ihn Awin. »Du magst ihn verwahren, junger Seher, denn ich denke, ich sollte dem Rat der Ahnmutter folgen.«
    Awin nahm ihn überrascht an. Er lag in seiner Hand, auf der schäbigen Schicht Leder, die ihn bisher verhüllt hatte. Der Heolin war leichter, als er erwartet hatte, aber noch durch das Leder fühlte er die angenehme Wärme, die der Stein ausstrahlte.
    »Ich bin der Yaman, ich sollte ihn tragen«, rief Eri wütend.
    »Du bist erst Yaman,
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