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Der Sohn des Donnergottes

Der Sohn des Donnergottes

Titel: Der Sohn des Donnergottes
Autoren: Arto Paasilinna
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in dessen Flaum es sich gut und bequem saß. Scheue Polarlichter umringten den Thron und warfen ihr Licht auf den Gott, dessen väterliches und gelassenes Wesen in Gestalt eines Sterns bis auf die Erde reflektiert wurde. Die Menschen, die diesen Stern sahen, wurden sonderbar.
    Hinter dem Thron des Donnergottes stand sein Weib Rauni, bekleidet mit dem schwarzen Pelz einer Wölfin und geschmückt mit blauen Spektrolithbändern, die sich um ihre Stirn und ihre Schultern rankten. Eine Hand hatte Rauni auf Ukkos Schulter gelegt, eine besitzergreifende Geste. Am Mittelfinger funkelte ein roter Stein, ähnlich denen an Ukkos Stiefelspitzen.
    Angeführt von Ilmarinen erreichten die anderen Götter den Versammlungsort. Neben Tapio mit seinem Weib erschienen Sampsa Pellervoinen, Pelto-Pekka, Ägräs, Ronkoteus und Virankannos, außerdem Vellamo am Arm von Ahti; aus der Unterwelt kamen Lempo und Turja sowie eine Reihe zottige Kleingeister. Ajattara betrat strahlend und in einen durchsichtigen Umhang gewandet die Versammlung. Als letzter traf Rutja ein, der Sohn des Donnergottes. Er befahl den Kleingeistern, um den Thron herum Aufstellung zu nehmen und sich um das gleichmäßige Glimmen des Kugelblitzes und der Blitzwurzel zu kümmern.
    Nachdem die Götter ihre Plätze eingenommen hatten, erschien eine Schar Gnome, die sich im hellen Licht des Himmels die Augen rieben, und nach ihnen hüpfte noch ein Schwarm Elfen herbei, zierliche, nur mit Nebelschleiern bekleidetet Jungfrauen. In den Händen hielten die Elfen Zauberreiser, an denen klitzekleine Glühwürmchen leuchteten.
    Auch Wichtelmännchen und Hausgeister kamen hinzu, außerdem zahlreiche Spezialgottheiten wie Liekkiö, Äpärä und Ihtiriekko, die Schutzgeister der getöteten Kinder. Der Grenzteufel brüllte furchterregend bei seiner Ankunft und nahm dann weit entfernt vom Thron Platz, an der Grenze von Licht und Schatten, um von dort der Versammlung zu folgen. Auch Pökkö, Kluko und Kurko, die Schutzgeister der Verrückten und Taugenichtse gesellten sich dazu. Ihre Gesellschaft suchten Kyöpeli und Jumi, die wie die Höllengeister von den hellen Lichtern geblendet wurden. Hinter Paio plazierten sich Nyrkytär, Myyrikki und Nyyrikki sowie der ziemlich kleine Hittavainen, der bei jedem Geräusch und bei der kleinsten Bewegung wie ein Hase zusammenzuckte. Zu Füßen der Götter galoppierte ächzend Paara herum, den Mund voller Handelsbank-Aktien. Ilmarinen, der Gott des Friedens, des guten Wetters und der windstillen Luft, der die Winde wiegte, gab ein Zeichen. Alle Götter sprachen mit hoher Stimme im Chor die Eröffnungsworte jeder Versammlung:
     
    He ho, Ukko Obergott,
    Donnerer am Wolkenrand,
    Sprichst du ein Wort,
    erschallen zwei!
     
    Der Donnergott stand auf, hob den Kugelblitz mit der linken Hand empor und polterte.
    »Ich bin Ukko Obergott, der älteste aller Götter. Wer daran zweifelt, dem schlage ich dieses Zepter aufs Haupt!«
    Die Vorstellung, einen Schlag mit dem Kugelblitz abzubekommen, ließ die schüchternsten und kleinsten Geister zittern vor Angst, wenn auch unnötigerweise, denn Ukko wollte eigentlich niemandem drohen. Er vollzog lediglich einen uralten Ritus, der heutzutage keine praktische Funktion mehr besitzt.
    Der Donnergott setzte sich. Er nickte Ilmarinen zu, damit dieser beginne.
    Ilmarinen legte einen religiösen Lagebericht vor. Er erzählte, was bereits alle wußten: Die uralte finnische Religion war schlimmer in Gefahr als je zuvor. Insbesondere der christliche Glaube hatte über die Finnen eine unfaßbare Macht gewonnen, aber damit nicht genug: Auch Agnostiker und Atheisten gab es im Volk. Nur ganz wenige Finnen glaubten noch an ihre ursprünglichen Götter. Auch unter den verwandten Völkern stand die Sache schlecht. Ostjaken, Wogulen und Tscheremissen, die heutzutage auf dem Gebiet der Sowjetunion leben, hatten begonnen, sich zu den Lehren des Sozialismus zu bekennen.
    »Und an Sozialisten herrscht selbst in Finnland kein Mangel«, brummte Ilmarinen.
    Ilmarinen zufolge hatte die Verehrung fremder Götter in Finnland fast schon absurde Ausmaße angenommen. In jedem Dorf stand eine Kirche, und in größeren Ortschaften gab es sogar mehrere dieser Kultstätten. Es handelte sich um große, für viel Geld errichtete Bauwerke mit festinstallierten Orgeln, die tiefe Töne von sich gaben. Um die Kirchen herum erstreckten sich weitläufige Friedhöfe. Man nannte die finnischen Dörfer gar Kirchspiele – welch eine Schande! Am schlimmsten war,
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