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Der Sohn des Donnergottes

Der Sohn des Donnergottes

Titel: Der Sohn des Donnergottes
Autoren: Arto Paasilinna
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dessen, was es einmal dargestellt hatte. Zuerst hatten die Umsiedler ihren Teil mitgenommen, und anschließend hatte Kullberg ein Drittel von dem, was noch übriggeblieben war, versoffen.
    Die beiden Frauen auf der Veranda tranken lustlos ihren Kaffee. Sie hatten nichts zu tun, und sie taten auch nichts. Tagaus, tagein plauderten sie, »diskutierten« und »tauschten Meinungen aus«. Davon gedieh im Garten nichts und glänzte auch die Stube nicht. Jeden Herbst brachte der Garten tausend Kilo schorfige Äpfel hervor, doch niemand machte sich die Mühe, sie zu ernten, und so verfaulten sie im kniehohen Gras. Die Drosseln hielten die Johannisbeersträucher besetzt und flatterten als kackender Schwarm kreuz und quer auf Ronkaila herum. Um Mittsommer stand das Gras so hoch, daß der Rhabarber nicht wachsen konnte, und die alten, mehrjährigen Lupinen-Pflanzungen kämpften um ihr Leben, umzingelt von Brennesseln.
    Bremsen und Fliegen schwirrten um die Veranda herum, und die beiden Frauen rieben sich lustlos die Hautfalten unter ihren Morgenmänteln. Die Dusche in der Sauna war wieder einmal kaputt, und niemand mochte im Kessel Wasser heiß machen. Sampsa öffnete den Briefkasten in der Hoffnung auf den ein oder anderen angenehmen Brief. Verflixt, nur zwei Rechnungen und ein paar Zeitungen! Für Anelma war der Rundbrief des Zahnärztebundes angekommen. Sonst nichts. Sampsa knüllte das Rundschreiben zu einer kleinen Kugel zusammen und ließ es in den zugewachsenen Graben hinter dem Briefkasten fallen. Er mußte an seinen Vater denken, den alten Bauern von Ronkaila. Als Anelma den nichtsnutzigen Schweden zum Mann genommen hatte, war Tavasti furchtbar wütend geworden und hatte gebrüllt, er ließe es nicht zu, daß diese Sorte Mensch Ronkaila versäuft.
    Aber der Alte war gestorben und ein Teil von Ronkaila versoffen worden. Vor seinem Tod hatte der Vater seinen Sohn in den alten Bräuchen unterwiesen. Als es in der Schule hieß, nun sei es Zeit für den Konfirmandenunterricht, nahm der Alte Sampsa mit in den Wald und lehrte ihn, Ukko Obergott, dem Donnergott, zu opfern.
    »Deinen Konfirmandenunterricht bekommst du von mir«, hatte er mit einem Lächeln gesagt.
    Hinter dem Haus von Ronkaila gab es damals schon einen dichten Wald, in dessen Mitte sich ein hoher Fels erhob. Sampsa erblickte auf dem Fels einen kleinen Steinhaufen, auf dem wiederum Fischgräten lagen. Tavasti Ronkainen nahm die Mütze ab und befahl Sampsa, es ihm gleich zu tun. Dann legte er ein halbes Kilo Speck auf den Fels, stellte eine halbe Flasche Schnaps daneben, schichtete aus trockenen Zweigen ein kleines Feuer auf und setzte es in Brand. Das Feuer bräunte den Speck, die Hitze ließ die Flasche zerspringen, und der brennende Schnaps lief den Fels hinab auf die Erde. Der Alte schlürfte den heißen Schnaps und befahl auch Sampsa, aus einer Mulde davon zu trinken. Das Zeug hatte eine Wirkung wie ein Hammer, und fast hätte sich Sampsa die Zunge verbrannt. Schließlich krochen Tavasti und Sampsa auf allen vieren im Kreis um den Fels herum und riefen mit lauter Stimme den Donnergott um Glückseligkeit an.
    All das war Sampsa unheimlich, aber in Begleitung des Vaters war es noch zu ertragen.
    Auf dem Rückweg teilte Tavasti seinem Sohn mit, daß er zu einem der Kirchenältesten der Gemeinde bestellt worden sei, weil er einen so großen Hof hatte.
    »Zum Teufel mit der Kirche… Ukko Obergott besitzt viel mehr Macht als so ein armer Pfarrer.«
    In den fünfziger Jahren hatte Sampsas Vater einen Mähdrescher gekauft. Er war der größte im Dorf und enorm teuer. Eines Tages saß die Maschine in einem lehmigen Acker fest und war nicht einmal mit dem Traktor auf Anhieb freizubekommen gewesen. Da war der Alte entsetzlich zornig geworden und hatte mit zum Himmel erhobener Faust brüllend seine eigenen Götter beschimpft. In der folgenden Nacht war ein schweres Gewitter aufgezogen, und ein Blitz war ins Haupthaus eingeschlagen, so daß die Stromleitungen verschmorten und die Steckdosen in allen Zimmern zerbrachen. Im Schlafzimmer im Obergeschoß war der Blitz das Stromkabel entlanggelaufen bis in Tavasti Ronkainens Nachttischlampe, wo er explodiert war und bei der Gelegenheit den Bauern ums Leben gebracht hatte. Die Bäuerin war bereits zur Zeit des Zwischenfriedens an einer Lungenentzündung gestorben und entging dadurch dem Blitz.
    Dieser Vorfall bestärkte Sampsa im Glauben an den Donnergott. Er machte es sich zur Gewohnheit, die altertümlichen finnischen
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