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060 - Trip in die Unterwelt

060 - Trip in die Unterwelt

Titel: 060 - Trip in die Unterwelt
Autoren: Dämonenkiller
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Nasskalter März auf Sardinien – das war für mich eine schlecht zu schildernde Mischung aus unentwegtem Frösteln, totaler Einsamkeit und einer Reihe von betäubend schönen Tagen. Dieses Jahr hatte schon so widerwärtig angefangen, dass es nur noch besser oder interessanter werden konnte. Ich war schon seit Tagen nur ein schlechter Witz meiner selbst.

Heulend strich der Mistral aus Korsika um die Mauern des Hauses. Die Schafe drängten sich mit nassen Teilen eng aneinander. Zwischen den dahintreibenden Wolken sickerte sekundenlang Mondlicht hindurch und beleuchtete die ausgewaschenen Felsen der Gallura. Mondlicht glänzte auch auf dem blau schimmernden Stahl der Lupara, der abgesägten Schrotflinte des Fuorilegge, des bärtigen sardischen Banditen im stinkenden Schafspelz Nini Kuzittu wartete.

    Angewidert betrachtete ich die ersten Zeilen des Manuskripts. Es war schätzungsweise der dreizehnte Anfang. Zwölf Vorgänger, ähnlich miserabel, lagen zerknüllt im Papierkorb.
    Ich hob das Glas und trank einen Schluck Rose di Cannonau. Das Glas hatte ich in Genua gekauft, als ich – wie üblich – drei Stunden auf die Fähre warten musste. Der Wein war sardisch. Auch das Zimmer war sardisch eingerichtet, und meine Stimmung hatte einen Tiefpunkt erreicht, den ich ebenfalls nur als sardisch bezeichnen konnte. Ich kam einfach mit meiner Arbeit nicht voran. Das heißt, ich fand nicht einmal einen einigermaßen passablen Anfang.
    Mein Verleger hatte sich darauf versteift, von mir einen möglichst schauerlichen Gruselroman zu bekommen – natürlich für ein Hungerhonorar. Na ja, die Honorare reichten wenigstens aus, um einen Junggesellen mit mäßig hohen Ansprüchen zu ernähren; sie reichten auch, um jeweils von Ostern bis etwa zum Spätsommer dieses ausgebaute sardische Bauernhaus zu mieten und hier zu leben. Innerhalb der dicken Natursteinmauern gab es inzwischen immerhin Strom und sogar – aus einem Boiler kommend – heißes Wasser.
    Die Gallura, der nördliche Teil der Insel, war von einer Schönheit, die kaum einen Menschen unberührt lässt. Aber nicht in dieser Märznacht. Draußen heulte tatsächlich ein wütender Sturm. Ich war völlig allein mit meiner Weinflasche, den Zigaretten, der alten, klapperigen Schreibmaschine und dem Kofferradio. Der Sturm jaulte im Kamin und drückte immer wieder Rauch in den lang gestreckten Raum mit den fünf Fenstern und der einen Tür. Am liebsten hätte ich mitgeheult; wenn ich auch noch an Angela dachte, an die junge Frau mit der geradezu unglaublichen Figur, bekam ich auf der Stelle – zu einem Viertel ohnehin betrunken – das heulende Elend. Wie gesagt, im März kann Sardinien die reinste Hölle sein.
    »Verdammter Mist!«, sagte ich laut in das Konzert hinein, das vom französischen Sender aus Korsika ausgestrahlt wurde.
    Meine Worte störten die Harmonie der Klänge. Ich hob das Glas, das rätselhafterweise immer voll war, trank einen Schluck und warf der Schreibmaschine einen Blick voller Verachtung zu; einen dieser unzähligen verachtungsvollen Blicke dieser qualvollen Tage. Einer meiner wenigen sarkastischen Schriftstellerfreunde hätte gesagt, ich befände mich in einer künstlerischen Krise.
    Ich stand auf, zündete mir die vierzigste Zigarette dieses langen, erbärmlichen Tages an, hustete, trank wieder einen Schluck. Dann zog ich die orangefarbene Segeljacke an und rollte die Kapuze halb auf. Ich wusste, dass wir morgen Vollmond haben würden, und ließ die Taschenlampe auf dem Sims mit den bunten Kacheln stehen. Langsam öffnete ich die Tür, die mir ein Windstoß fast aus der Hand riss. Sie knarrte noch immer, obwohl ich sie in jedem Urlaub immer wieder ölte.
    Der Sturm schmiss sie zurück ins Schloss.
    In der Ferne schrie laut ein Tier; es hörte sich wie ein Esel an. Jetzt fehlte nur noch, dass wirklich ein sardischer Bandit auf mich lauerte. Unsinn! Regentropfen klatschten fast waagrecht in mein Gesicht; der Sturm riss glühende Funken aus der Zigarette.
    Ich ging an der Mauer entlang und blieb unter den drei Pinien stehen, die ihre vertrockneten Nadeln nach mir warfen. Eine phantastische, im Mondlicht schauerlich wirkende Landschaft enthüllte sich meinem Blick. Selbst in diesem Regensturm – dem seit drei Tagen tobenden Mistral – sahen die Felsen, die raschelnden Büsche der Mittelmeermacchia und die wenigen Bäume hinter S'Isuledda wie eine von Salvador Dali erdachte Filmkulisse aus.
    Das Haus in meinem Rücken stand fast auf der Spitze eines
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